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Die Bruderschaft des Feuers

Die Bruderschaft des Feuers

Titel: Die Bruderschaft des Feuers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfredo Colitto
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anstatt regelmäßige Mittags- und Abendmahlzeiten einzuhalten, und wurde unablässig von Sorgen bestürmt. Alles in allem war er die lebendige Verweigerung der Ratschläge zur Erhaltung der Gesundheit, die sein Lehrmeister Taddeo Alderotti niedergeschrieben hatte.
    Das Problem lag wie immer im Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Es war richtig, dem Patienten die Dinge aufzuzeigen, die er selbst tun konnte, also auf das zu achten, was als die  sex res non naturales , die sechs nicht natürlichen Dinge definiert wurde, also Licht und Luft, Schlafen und Wachen, Bewegung und Ruhe, Speise und Trank, Absonderungen und Ausscheidungen und schließlich die Gemütsbewegungen. Aber die Vorstellung, er könnte allen Ernstes unter den derzeitigen Bedingungen regelmäßige Mahlzeiten, Schlafenszeiten oder auch nur Latrinengänge einhalten, war schlicht absurd.
    Außerdem bedrückte es ihn ausgesprochen, dass er nicht dem Abschlussexamen seiner Studenten beiwohnen konnte. Er nahm sich erneut vor, dass er, was auch geschah, alles daransetzen würde, wenigstens die Abschlussfeier in der Kirche San Francesco am folgenden Sonntag nicht zu versäumen.
    Er zog einen Stuhl neben das Glutbecken, das er an den Tisch herangeschoben hatte, um den Patienten warm zu halten, setzte sich und schürte mit dem dafür vorgesehenen Eisenstab die Glut. Seit dem Tag, an dem ihm beim Starren in die glühenden Kohlen klar geworden war, dass Bertrando Lamberti von innen heraus verbrannt war, hatte er eine Theorie ausgearbeitet, wie dies möglich war: Wie schon Aristoteles sagte, strebte das Feuer von Natur aus nach oben, weil jedes Element von der eigenen Sphäre angezogen wurde, und die Sphäre des Feuers befand sich wie die der Luft in der Höhe. Vielleicht lag es ja an der gemeinsamen Richtung, dass die beiden leichtesten Elemente sich vermischen konnten, so wie ja auch Wasser und Erde, die beiden schwersten, die beide nach unten strebten und zusammen Schlamm bildeten.
    Feuer und Luft vermischten sich nicht sichtbar, und doch konnte Feuer sich ohne Luft nicht ausbreiten, was das einfache Experiment bewies, wenn man einen Krug über eine Flamme stellte.
    Nun war die einzige Luft im Inneren des menschlichen Körpers der Atem, daher musste das Feuer, das Bertrando Lamberti und Giovanni da San Gimignano verzehrt hatte, auf die eine oder andere Weise von ihrem eigenen Atem genährt worden sein. Aber es blieb immer noch ein Rätsel, von wem und wie eine Flamme im Inneren eines lebenden Körpers entzündet werden konnte.
    Dank Andolfo hatte die mit Blut gefertigte Zeichnung auf der Hand des Toten jetzt einen Namen und einen Sinn bekommen. Aber damit war das Rätsel um ihre Bedeutung nicht gelöst. Fest stand nur, dass Pater Giovanni sich die Mühe gemacht hatte, sich noch im Augenblick seines Todes wiederholt eine Hand zu verletzen, einzig um eine Botschaft für den zu hinterlassen, der seine Leiche finden würde, also musste diese sehr wichtig sein. Sie musste die Identität seines Mörders betreffen oder das Geheimnis, wie er tötete, oder sogar beides.
    Der Zimmermann auf dem Tisch seufzte wieder im Schlaf, und Mondino war sofort bei ihm. Er hatte sehr trockene Haut und ausgedörrte Lippen, aber sein Zustand wirkte stabil. Mondino benetzte seinen Mund mit einem viereckigen Leinentuch, das er in einem Wasserkrug getränkt hatte, dann fuhr er ihm vorsichtig mit dem feuchten Lappen über das ganze Gesicht. Der Mann beruhigte sich, und sein Atem wurde wieder einigermaßen regelmäßig.
    Mondino faltete den Lappen zusammen und legte ihn neben den Krug, sodass man ihn wieder verwenden konnte. Dann nahm er seinen unterbrochenen Gedankengang wieder auf.
    Er musste mehr über das in Erfahrung bringen, was Andolfo als »Guidonische Hand« bezeichnet hatte, ehe er weitere Vermutungen anstellen konnte. Und er wusste auch schon, an wen er sich am besten deswegen wenden konnte: an Pater Cherubino Cornari, den ehemaligen Prior der Kathedrale San Pietro. Noch einer von Liuzzos Patienten, dessen Untersuchung er vernachlässigt hatte. Jetzt hatte er einen weiteren Grund, ihn aufzusuchen.
    Erschöpft legte er eine Hand vor den Mund und gähnte. Er war wirklich müde. Plötzlich hörte er, wie es an der Tür zur Straße klopfte. Er wartete zunächst, ob jemand anderer öffnen ging, doch es schien niemand sonst im Haus zu sein. Nach kurzem Zögern trat er in den Hof und stand plötzlich in einer Nebelbank. Es hatte beinahe den Anschein, als wollte das Wetter in diesen

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