Die Bruderschaft des Feuers
Menschen zu wollen, egal aus welchem Grund. Diese Erkenntnisse zuckten durch seinen Kopf, weniger wie klare Gedanken, sondern eher wie Lichtblitze, und plötzlich begriff er. Jetzt wusste er, dass es am wichtigsten war, den Pater aufzuhalten.
»Warum habt Ihr uns verraten? Seid Ihr auch ein Mithrasjünger?«
Das war Gerardos Stimme neben Mondino, aber er war außerhalb seines Gesichtsfelds. Visdomini wünschte sich wirklich, es ihm zu erklären, ihm von seinen Träumen und seinen Ängsten zu erzählen und zu hören, was er ihm antworten würde. Aber dazu blieb nicht die Zeit. Der Tod näherte sich ihm mit großen Schritten.
»In meinem Arbeitszimmer, oben auf einem Balken«, sagte er leise. »Dort liegt ein Papyrus. Er erklärt vieles.«
»Wer ist der Mann, der mittels Feuer mordet?«, fragte Mondino.
Visdomini schüttelte kaum merklich den Kopf. »Ich weiß es nicht. Habe sein Gesicht nie gesehen. Man nennt ihn den Pater. Der Brand … soll eine möglichst große Zahl Seelen retten, indem man sie durch das Feuer läutert.«
»Er soll eine möglichst große Zahl Menschen töten, wollt Ihr sagen«, korrigierte der Arzt düster.
Visdomini nickte. Er wollte noch mehr sagen, wollte alles gestehen, aber er war verwirrt, abgelenkt von Lichtern und Geräuschen, die nicht von dieser Welt waren. Er schloss die Augen, um sie genauer zu erkennen, doch Mondinos Stimme holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
»Der Tempel«, fragte der Arzt gerade. »Sagt uns, wo der Tempel ist.«
Er versuchte zu antworten, doch es war zu spät. Der Tod war unaufhaltsam gekommen. Visdomini ließ sich beinahe erleichtert in seine kalten Arme sinken. Endlich würde er entdecken, was ihn auf der anderen Seite erwartete.
Falls es wirklich ein Gott war, würde er ihn mit ehrlicher Reue um Verzeihung bitten.
Der junge Mann sah ihn in einer Mischung aus Schüchternheit und Dreistigkeit an. Fedrigo Guidi betrachtete ihn aufmerksam und versuchte herauszufinden, ob das, was er eben gesagt hatte, ein unverhofftes Glück darstellte oder eine Dummheit war.
»Was lässt Euch vermuten, dass ich an Eurem Angebot Interesse hätte?«, fragte er.
»Der Umstand, dass ich gehört habe, was Ihr neulich zu diesem Mädchen gesagt habt, bevor Ihr das Haus des Magisters verließet.«
Fedrigos Miene verdunkelte sich. War das eine Falle, damit er zugab, dass er von der Tochter des Zimmermanns verlangt hatte, in Mondinos Haus nach etwas zu suchen, das ihn belasten könnte? In diesem Fall würde dieser Jüngling, der noch nicht ganz trocken hinter den Ohren war, sich an ihm die Zähne ausbeißen.
»Ich erinnere mich nicht, mit ihr gesprochen zu haben«, sagte er trocken. »Was soll ich ihr Eurer Meinung nach gesagt haben?«
Der Junge bedachte ihn mit einem unverschämten Blick. »Das ist unwichtig«, sagte er. »Außerdem hat sie nichts gefunden. Der Sohn des Magisters hat sich in sie verliebt und lässt sie keinen Augenblick allein.«
Der junge Mann hatte ihn zu Hause aufgesucht und ihn im Aufbruch angetroffen, aber er hatte ihn überzeugt, davon Abstand zu nehmen und ihn zu empfangen, indem er sagte, er hätte ihm einen Vorschlag zu machen. Einen Vorschlag, der Mondino de’ Liuzzi betraf. Nur deswegen hatte Fedrigo zugestimmt und ihn in das große Zimmer im Erdgeschoss eintreten lassen, womit er von seiner Regel abgewichen war, zu Hause keine Klienten zu empfangen. Außerdem konnte man den wie ein Seminarist gekleideten jungen Mann kaum als Klienten bezeichnen.
»Es geht schneller, wenn Ihr mir einfach sagt, was Ihr von mir wollt«, sagte Fedrigo. »Ich lasse eine wichtige Persönlichkeit warten, um Euch zuzuhören.«
»Ich will Mondinos Stelle an der Universität.«
Fedrigo fuhr hoch. »Was? Seid Ihr verrückt?«
»Heute bin ich zum Doktor der Medizin ernannt worden«, sagte der Student. »Ich habe meine Studiengefährten verlassen, um zu Euch zu kommen, und möchte schnell zur Feier zurückkehren. Stehlt mir also keine Zeit, indem Ihr mich wie einen Dummkopf behandelt.«
»Und wie soll man Euch behandeln, wenn Ihr solche Ungeheuerlichkeiten aussprecht? Mondino ist unangreifbar.«
»Nicht mehr. Ich habe zwei belastende Beweise gefunden, die ihn mindestens den Entzug der licentia docendi kosten können.«
Fedrigo wollte ihm nur zu gern glauben, doch zunächst musste er herausfinden, ob der junge Mann die Wahrheit sagte.
»Abgesehen davon, dass die Medizinschule zum Familienbesitz der de’ Liuzzi gehört, während ich bezweifele, dass Ihr
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