Die Brücken Der Freiheit: Roman
Absicht, Robert mit Lizzie zu verheiraten, und weder Jay noch sonst jemand in der Familie würde sich den Wünschen Sir Georges widersetzen. Daß sich Robert trotzdem so aufregte, wunderte Jay. Es verriet eine Unsicherheit, wie man sie weder von ihm noch von seinem Vater gewohnt war.
Jay genoß das seltene Vergnügen, seinen Bruder so verwundbar zu sehen. »Wovor hast du denn Angst?« fragte er.
»Du weißt verdammt gut, worum es mir geht. Du hast mir schon immer alles weggenommen, schon als kleiner Junge. Mein Spielzeug, meine Kleider - alles…«
»Weil du immer alles bekommen hast, was du wolltest, und ich nie etwas.« Hinter der Antwort steckte jahrelang aufgestauter Groll.
»Quatsch.«
»Was soll ich denn machen?« lenkte Jay ein. »Miss Hallim ist Gast in unserem Hause - ich kann sie doch nicht wie Luft behandeln.«
Ein störrischer Zug lag um Roberts Mund. »Willst du, daß ich mit Vater darüber spreche?«
Das waren die Zauberworte, die viele Streitereien in ihrer Jugend beendet hatten, denn beide Brüder wußten nur zu genau, daß Vater immer nur Robert recht geben würde.
»Schon gut, schon gut«, sagte Jay, während ihm eine nur allzu bekannte Bitterkeit fast den Hals abschnürte. »Ich halt' mich aus deiner Brautwerbung heraus.«
Er schwang sich auf sein Pferd und ritt davon. Sollte Robert doch Lizzie zum Schloß eskortieren!
Schloß Jamisson, eine hohe Festung aus grauem Stein mit Türmen und zinnenbewehrtem Dach, wirkte so streng und abweisend wie viele schottische Herrenhäuser. Es war vor siebzig Jahren errichtet worden, nachdem die erste Kohlegrube im Tal den Hausherrn reich gemacht hatte.
Sir George hatte das Gut von einem Vetter seiner ersten Frau geerbt. Soweit Jay zurückdenken konnte, war sein Vater von der Kohle wie besessen gewesen und hatte all seine Zeit und all sein Geld in die Erschließung neuer Gruben investiert. Am Schloß war dagegen kaum etwas getan worden.
Obwohl er hier aufgewachsen war, fühlte sich Jay nicht wohl im Schloß. Die riesigen, zugigen Räume im Erdgeschoß - Halle, Speisesaal, Salon, Küche und Dienstbotenzimmer - umschlossen einen großen zentralen Innenhof mit einem Brunnen, der von Oktober bis Mai eingefroren war. Das Gebäude war einfach nicht warm zu bekommen. Daß in jedem Schlafzimmer reichlich Kohle aus den Jamissonschen Gruben verheizt wurde, beeindruckte die kalte, klamme Luft in den Gemächern wenig, und auf den Gängen war es meist so frostig, daß man sich einen Mantel anziehen mußte, wenn man von einem Raum in den anderen gehen wollte.
Vor zehn Jahren war die Familie dann nach London gezogen. Im Schloß verblieb nur eine kleine Gruppe von Bediensteten, um das Gebäude in Ordnung zu halten und das Wild zu schützen. Eine Zeitlang kehrte man Jahr für Jahr mit Gästen und Personal zurück. In Edinburgh mietete sich die Familie Pferde und eine Kutsche. Pächterfrauen scheuerten für einen geringen Lohn die Steinfliesen, sorgten dafür, daß die Feuer nicht ausgingen, und leerten die Nachttöpfe. Doch mit der Zeit fiel es Vater immer schwerer, sich von seinen Geschäften loszureißen, und so reisten sie immer seltener nach Schottland. Daß sie ausgerechnet in diesem Jahr die alte Gewohnheit wieder aufgenommen hatten, gefiel Jay überhaupt nicht, doch empfand er bei allem Verdruß die Begegnung mit der herangewachsenen Lizzie Hallim als angenehme Überraschung - und dies nicht nur, weil er durch sie die Chance bekam, den ansonsten stets vom Glück begünstigten älteren Bruder ein wenig zu quälen.
Er ritt zu den Ställen hinter dem Haus, saß ab und tätschelte dem Wallach den Hals. »Für Hindernisrennen taugt er nicht viel, aber er ist ein braves Pferd«, sagte er zu dem Stallknecht, während er ihm die Zügel in die Hand drückte. »Ich wäre froh, wenn ich ihn in meinem Regiment hätte.«
Der Stallknecht freute sich über das Lob. »Danke, Sir.«
Jay betrat die große Halle, einen riesigen, düsteren Raum mit noch dunkleren Ecken und Winkeln, die vom Kerzenlicht kaum erreicht wurden. Auf einem alten Fell vor dem Kohlenfeuer lag ein schläfriger Jagdhund. Jay stieß ihn mit der Stiefelspitze an und scheuchte ihn fort, um sich die Hände zu wärmen.
Über dem Kamin hing das Porträt von Roberts Mutter Olivia, der ersten Frau Sir Georges. Jay haßte das Gemälde. Da hing sie nun, feierlich und fromm, und schaute an ihrer langen Nase vorbei auf die Nachwelt herab. Mit neunundzwanzig Jahren war sie an einem plötzlichen Fieber gestorben.
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