Die Brücken Der Freiheit: Roman
dunkle Kleidung eines Quäkers und legte auch das entsprechend nüchterne Gebaren an den Tag. Noch während Jay die Überfahrt bezahlte, begann er den Fährmann auszufragen. »Wir suchen drei Leute, die gemeinsam unterwegs sind: eine junge Frau, ein Schotte ungefähr gleichen Alters und ein junges Mädchen von vierzehn Jahren. Sind sie hier durchgekommen?«
Der Mann schüttelte den Kopf.
Jays Hoffnung schwand. Wahrscheinlich sind wir total auf dem Holzweg, dachte er. »Ist es möglich, daß hier jemand über den Fluß kommt, ohne daß Sie es merken?«
Der Mann nahm sich Zeit mit seiner Antwort. Schließlich meinte er: »Das müßte schon ein sehr guter Schwimmer sein.«
»Angenommen, sie hätten den Fluß anderswo überquert?«
Wieder dauerte es eine Weile, bis der Fährmann antwortete: »In diesem Fall sind sie hier nicht durchgekommen.«
Binns kicherte, doch Lennox brachte ihn mit einem bösartigen Blick zum Schweigen.
Jay sah auf den Fluß hinaus und fluchte halblaut vor sich hin. Seit sechs Tagen war Lizzie nicht mehr gesehen worden. Irgendwie war sie ihm entwischt. Sie konnte überall sein - in Pennsylvania vielleicht oder auf einem Schiff nach London. Er hatte sie verloren. Sie hatte ihn ausgetrickst und um sein Erbe betrogen. Bei Gott, dachte er, ich jag' ihr eine Kugel durch den Kopf, wenn ich sie jemals wiedersehe…
In Wirklichkeit wußte er gar nicht genau, wie er sich verhalten sollte, falls sie ihm doch noch in die Hände fiel. Die Frage war ihm auf dem langen Ritt über die unwegsamen Pfade unentwegt durch den Kopf gegangen. Daß sie nicht freiwillig zu ihm zurückkehren würde, war ihm klar. An Händen und Füßen gefesselt würde er sie nach Hause schleifen müssen. Und selbst dann würde sie ihm kaum zu Willen sein. Wahrscheinlich werde ich sie vergewaltigen müssen, dachte er und mußte zu seiner Verwunderung feststellen, daß ihn diese Vorstellung sexuell erregte. Lustvolle Erinnerungen suchten ihn heim: Wie sie sich auf dem Dachboden des leerstehenden Hauses in der Chapel Street liebkost hatten, während ihre Mütter draußen standen. Wie Lizzie nackt und schamlos auf dem Ehebett herumgetollt war und wie sie sich geliebt hatten, Lizzie über ihm, sich windend und laut stöhnend… Angenommen, sie wird tatsächlich schwanger, dachte er - wie soll ich sie zum Bleiben zwingen? Soll ich sie vielleicht bis zur Geburt des Kindes einsperren?
Ihr Tod würde alles sehr viel einfacher machen, und es war gar nicht einmal so unwahrscheinlich, daß sie sterben würde: Sie und McAsh würden sich mit Sicherheit wehren. Jay glaubte nicht, daß er fähig wäre, seine Frau kaltblütig zu ermorden. Aber er konnte darauf spekulieren, daß sie sich gegen die Festnahme wehren und dabei getötet würde. In diesem Fall konnte er eine kräftige Barmaid heiraten, sie schwängern und mit dem nächsten Schiff nach London fahren, um sein Erbe einzufordern.
Aber das war nur ein Wunschtraum. Die Wirklichkeit sah so aus, daß er eine Entscheidung zu treffen hatte, wenn er Lizzie Aug in Aug gegenüberstand: Entweder er brachte sie lebendig nach Hause - wobei sie reichlich Gelegenheit finden würde, seine Pläne zu durchkreuzen - , oder er mußte sie töten.
Aber wie? Er hatte noch nie einen Menschen getötet und nur ein einziges Mal jemanden mit seinem Schwert verwundet - bei dem Aufstand am Kohlelager, als McAsh ihm ins Netz ging. Auch in Momenten, in denen sein Haß auf Lizzie besonders groß war, konnte er sich nicht vorstellen, ein Schwert in den Leib zu stoßen, den er geliebt hatte. Er hatte es einmal geschafft, sein Gewehr auf seinen Halbbruder zu richten und abzudrücken. Wenn es denn ganz und gar unumgänglich wurde, Lizzie zu töten, so mochte es noch am besten sein, sie aus der Ferne zu erschießen wie ein Stück Wild. Doch ob er es im Ernstfall wirklich über sich bringen würde, vermochte Jay nicht zu sagen.
Die Fähre legte an. Längsseits des Landeplatzes stand ein stattliches Holzhaus mit zwei Stockwerken und einem Dachboden. Mehrere solide gebaute Häuser schmiegten sich an den Hang, der vom Ufer aus steil nach oben strebte. Lynch's Ferry war allem Anschein nach ein blühender kleiner Marktflecken. Als sie an Land gingen, bemerkte der Fährmann beiläufig: »Sie werden in der Schenke erwartet.«
»Erwartet?« fragte Jay verblüfft. »Wer weiß denn, daß wir kommen?«
Der Fährmann beantwortete eine Frage, die ihm gar nicht gestellt worden war: »Armseliger Kerl. Hat nur ein Auge.«
»Dobbs! Wie
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