Die Brücken Der Freiheit: Roman
so unterhaltsam, dachte sie. Er ist offenbar genauso abenteuerlustig wie ich. Und er sieht nicht schlecht aus - ist groß, kräftig gebaut, hat volles, blondes, gewelltes Haar und weiß sich zu kleiden… Sie konnte es kaum noch abwarten bis Mitternacht.
Es klopfte an der Tür, und ihre Mutter kam herein. Ihr schlechtes Gewissen ließ Lizzie zusammenzucken. Ich hoffe, sie wird nicht allzu lange mit mir reden wollen, dachte sie. Aber sie hatte noch Zeit; es war noch nicht einmal elf.
Lady Hallim trug einen Mantel wie alle Bewohner des Schlosses, die durch die kalten Flure von einem Zimmer ins andere gingen. Jetzt legte sie ihn ab. Über ihrem Nachtgewand trug sie noch eine Pelzweste. Sie nahm die Nadeln aus Lizzies Haar und begann es zu bürsten.
Lizzie schloß die Augen. Wenn Mutter sie frisierte, fühlte sie sich immer in ihre Kindheit zurückversetzt.
»Du mußt mir versprechen, dich nie wieder als Mann zu verkleiden«, sagte Lady Hallim.
Lizzie erschrak. Es war, als hätte Mutter ihr Gespräch mit Jay belauscht. Sie mußte vorsichtig sein: Mutter hatte von jeher ein bemerkenswertes Gespür für die Streiche ihrer Tochter.
»Du bist inzwischen viel zu alt für solche Spielchen, Elizabeth.«
»Sir George hat sich königlich darüber amüsiert«, protestierte Lizzie.
»Mag sein. Aber auf diese Weise bekommt man keinen Ehemann.«
»Robert will mich aber anscheinend haben.«
»Ja - aber du mußt ihm auch die Chance geben, um dich zu werben! Auf dem Weg zur Kirche gestern bist du mit Jay vorausgeritten und hast ihn einfach stehenlassen. Und heute abend hast du dich just in dem Augenblick zurückgezogen, als Robert nicht im Zimmer war. Er bekam also keine Gelegenheit, dich hinauf zu begleiten.«
Lizzie betrachtete ihre Mutter im Spiegelbild. Die vertrauten Gesichtszüge verrieten Entschlossenheit. Lizzie liebte ihre Mutter und hätte ihr gern alle Wünsche erfüllt. Nur eines konnte sie nicht: die Tochter sein, die ihre Mutter sich wünschte. Das widersprach schlichtweg ihrer Natur.
»Tut mir leid, Mutter«, sagte sie. »An solche Dinge denke ich einfach nicht.«
»Sag mal, Kind…« Lady Hallim zögerte. »Magst du Robert?«
»Im Notfall würde ich ihn schon nehmen.«
Lady Hallim legte die Bürste ab und setzte sich Lizzie gegenüber. »Daß wir uns in einer Notlage befinden, ist nicht mehr von der Hand zu weisen, mein Kind.«
»Geld war bei uns schon immer knapp.«
»Das stimmt. Und bisher kamen wir ja auch über die Runden: Ich habe immer jemanden gefunden, von dem ich mir Geld leihen konnte. Auch unser Land habe ich beliehen. Dadurch, daß wir den größten Teil unserer Zeit hier draußen verbringen, unser eigenes Wild essen und unsere Kleider tragen können, bis sie völlig abgerissen und durchlöchert sind, konnte ich die Kosten einigermaßen niedrig halten.«
Lizzie schlug das Gewissen. Wenn Mutter Geld ausgab, dann nur für ihre Tochter, nie für sich selbst. »So laß uns doch so weitermachen. Ich habe nichts dagegen, wenn uns der Koch persönlich das Essen aufträgt. Und wir brauchen auch nur eine Zofe für uns beide. Außerdem lebe ich gerne hier draußen. Hier durch die Wälder zu streifen ist mir sowieso viel lieber als jeder Einkaufsbummel in der Bond Street!«
»Es gibt aber eine Grenze der Verschuldung. Man will uns kein Geld mehr leihen.«
»Dann leben wir eben von unseren Pachteinnahmen! Wir reisen nicht mehr nach London und verzichten sogar auf die Bälle in Edinburgh. Außer dem Pastor wird niemand mehr zum Essen eingeladen. Laß uns leben wie die Klosterschwestern und auf alle gesellschaftlichen Vergnügungen verzichten!«
»Ich fürchte, mein Kind, selbst das ist nicht mehr möglich. Es besteht die Gefahr, daß man uns Hallim House und das Gut wegnimmt.«
Lizzie erschrak. »Das darf man nicht! « »Doch. Darauf läuft eine Verpfändung letzten Endes hinaus. « »Wer ist ›man‹? « Mutters Blick war unbestimmt. »Nun ja, der Mann, der mi r immer die Kredite vermittelt, ist der Rechtsanwalt deines Vaters. Wie er es genau angestellt hat, weiß ich gar nicht. Tatsache ist, daß der Gläubiger sein Geld zurückhaben will. Bekommt er's nicht, wird er das Pfand einlösen.«
»Ist das dein Ernst, Mutter? Soll das heißen, daß wir unser Gut verlieren?«
»Nein, mein Kind - nicht, wenn du Robert Jamisson heiratest.«
»Jetzt ist mir alles klar«, erwiderte Lizzie feierlich.
Die Uhr im Stallhof schlug elf. Lady Hallim erhob sich und küßte ihre Tochter. »Gute Nacht, mein Kind.
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