Die Brücken Der Freiheit: Roman
weigerte sich, darüber nachzudenken, wie sie ihrer Mutter den Verlust erklären sollte. »Ziehen Sie den Umhang an, und nehmen Sie die Decke so mit. Sie muß erst richtig trocknen.« Ohne auf seine Zustimmung zu warten, legte sie ihm den Pelzumhang um die Schultern. Er war so groß, daß er Macks gesamten Körper umhüllte.
Lizzie hob sein Bündel auf und zog die Stiefel heraus. Mack gab ihr die feuchte Decke, und sie stopfte sie in den Sack. Dabei stieß sie mit der Hand an etwas Hartes. Sie zog es heraus. Es war der eiserne Halsring. Er war durchtrennt und einseitig aufgebogen worden.
»Wie haben Sie denn das fertiggebracht?« fragte sie.
Mack war dabei, sich die Stiefel anzuziehen. »Ich bin in die Bergwerksschmiede eingebrochen und habe Taggarts Werkzeug benutzt.«
Allein kann er das nicht geschafft haben, dachte Lizzie. Bestimmt hat seine Schwester ihm geholfen. »Warum nehmen Sie ihn mit?«
Mack hatte aufgehört zu schlottern. In seinem Blick funkelte die heiße Wut. »Damit ich ihn nie vergesse«, sagte er bitter. »Niemals.«
Lizzie Hallim steckte den Ring wieder in den Sack. Ganz unten ertastete sie ein großes Buch. »Was ist das?« fragte sie.
»Robinson Crusoe.«
»Mein Lieblingsbuch!«
Mack nahm ihr den Sack aus der Hand. Er wollte gehen.
Lizzie erinnerte sich, daß Jay Sir George dazu überredet hatte, McAsh laufen zu lassen. »Die Aufseher werden Sie nicht verfolgen«, sagte sie.
Er musterte sie kritisch. Hoffnung und Skepsis lagen in seinem Blick. »Woher wissen Sie das?«
»Sir George meint, er wäre froh und glücklich, wenn er mit einem Unruhestifter wie Ihnen nichts mehr zu tun hätte. Die Bergleute sollen aber nicht wissen, daß er Sie ziehen läßt deshalb wird die Brücke nach wie vor bewacht. Er rechnet jedoch damit, daß Sie sich irgendwie davonstehlen werden, und wird nichts unternehmen, Sie wieder einzufangen.«
Erleichterung zeichnete sich auf seinem müden Antlitz ab. »Dann habe ich den Sheriff und seine Leute also nicht zu fürchten«, sagte er. »Gott sei Dank!«
Ohne ihren Umhang zitterte Lizzie vor Kälte, doch innerlich war ihr warm. »Gehen Sie schnell, und rasten Sie nicht!« sagte sie. »Wenn Sie vor Tagesanbruch stehenbleiben und sich ausruhen, holen Sie sich doch noch den Tod.« Nur allzugern hätte sie sein Ziel gekannt und gewußt, was er aus seinem Leben machen würde.
Er nickte und reichte ihr die Hand. Sie schlug ein, doch zu Lizzies Erstaunen hob er ihre Hand an seine weißen Lippen und küßte sie. Dann ging er fort.
»Viel Glück«, sagte sie leise.
Unter seinen Stiefeln knirschten die vereisten Pfützen. Im Mondlicht schritt Malachi McAsh die Straße entlang, die das Tal hinunterführte. Unter Lizzie Hallims Pelzumhang war ihm rasch warm geworden. Außer seinen Schritten war nur noch das Rauschen des neben der Straße fließenden Flusses zu hören. Im Geiste jedoch jubilierte er und sang das Lied der Freiheit.
Je weiter er das Schloß hinter sich ließ, desto deutlicher begann er die Merkwürdigkeit, ja Komik seiner Begegnung mit Miss Hallim zu erkennen. Da stand sie am Flußufer, in einem fein bestickten Kleid und Seidenschuhen und mit einer Frisur, für die zwei Zofen gut und gerne eine halbe Stunde gebraucht haben mochten - und ich kam über den Fluß geschwommen, nackt, wie mich der Herr geschaffen hat. Sie muß ganz schön erschrocken sein!
Noch am vergangenen Sonntag in der Kirche hat sie sich so blöde und selbstzufrieden aufgeführt wie eine typische arrogante schottische Aristokratin, dachte er. Doch dann ist alles anders gekommen: Mutig hat sie meine Herausforderung angenommen und sich den Pütt von innen angesehen. Und heute nacht hat sie mir gleich zweimal das Leben gerettet - hat mich erstens aus dem Wasser gezogen und mir zweitens ihren warmen Umhang geschenkt. Eine bemerkenswerte Frau. Sie hat mich an sich gedrückt, um mich zu wärmen, und mich mit ihrem Unterrock abgetrocknet. Ob es in ganz Schottland noch eine zweite Frau ihres Standes gibt, die so etwas für einen Kohlekumpel tun würde?
Er mußte daran denken, wie sie ihm im Stollen in die Arme gefallen war und wie sich ihr Busen angefühlt hatte, so schwer und weich in seiner Hand. Er bedauerte sehr, daß er sie wahrscheinlich nie wiedersehen würde. Vielleicht - hoffentlich bekam auch sie eines Tages die Chance, dieses kleine, abgeschiedene Tal zu verlassen. Ihr Abenteuergeist verdiente weitere Horizonte.
Ein Rudel Rehe graste im Schutz der Dunkelheit neben der Straße. Als
Weitere Kostenlose Bücher