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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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sind Naturwissenschaftler. Halten
Sie es für möglich, dass sich Gewehrkugeln in Wasser verwandeln?«
    »Natürlich nicht!«
    »Ein Mann, der Sie in dieser Überzeugung angreift, wird also wie alle anderen erschossen?«
    »Ja, natürlich!«
    »Nicht einmal der Umstand, dass der Betreffende seine magische Widerstandskraft durch das Verspeisen einer weißen Unschuld gestärkt hat, kann die Situation beeinflussen?«
    »Herr Vorsitzender!«, flehte Oscar inzwischen ernsthaft erzürnt. »Diese Frage finde ich unverschämt. Muss ich sie ebenfalls beantworten?«
    »Ja, denn dieser Gedanke hatte mich auch schon gestreift«, gab Dr. Goldmann mit einer nach Oscars Geschmack zu amüsierten Miene zu. »Ich möchte Sie allerdings bitten, Herr Anwalt, zu erklären, was Sie mit Ihren Fragen bezwecken.«
    »Ich kann diese Frage nicht beantworten, Herr Vorsitzender, ohne dem Zeugen unnötigerweise Unterricht in der Lehre vom Vorsatz zu erteilen«, antwortete der Anwalt mit treuherziger Miene.
    »Nur das nicht, Herr Anwalt! Das habe ich schon zu oft erlebt«, sagte der Richter verächtlich. »Um auf meine Frage zurückzukommen, worauf wollen Sie mit Ihren, wenn ich es so ausdrücken darf, Hexenkünsten hinaus?«
    »Ich will zeigen, dass zwei der Angeklagten, Kiskunta und Kiskinte, nicht den Vorsatz hatten, zu töten«, antwortete der Anwalt, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Erklären Sie mir das!«, brummte der Richter.
    »Meine Mandanten hatten nach geltendem deutschen
Recht nicht den Vorsatz zu töten und noch viel weniger, jemanden zu verletzen, als sie mit ihrem Kopfputz aus Straußenfedern und ihrem Aberglauben als einziger Bewaffnung angriffen. Ihre subjektiven Hoffnungen spielen hier keine Rolle, es handelte sich in juristischer Hinsicht um einen untauglichen Versuch, darauf will ich hinaus. Der Zeuge hat meiner Beurteilung bereits zugestimmt, ich würde mich jetzt also gerne wieder dem Thema Kannibalismus zuwenden, falls Sie es gestatten, Herr Vorsitzender.«
    Erwartungsvolles Gemurmel breitete sich im Saal aus. Der Richter schüttelte lächelnd, ohne dieses Lächeln nur im Mindesten zu verbergen, den Kopf und bedeutete dem Anwalt, fortzufahren.
    Der Albtraum begann für Oscar von Neuem. Er sah sich gezwungen, zuzustimmen, dass die kannibalistischen Widrigkeiten vermutlich eher die Funktion eines magischen Rituals hatten als einer Mahlzeit. Was so nicht korrekt war. Die Kinandi-Krieger lebten von Menschenfleisch, wenn sie sich auf dem Kriegspfad befanden. Zumindest laut Kadimba, der es besser als alle anderen im Gerichtssaal wissen musste. Kadimba erhielt aber nie die Gelegenheit, sich ausführlich zu äußern, weil der Anwalt ihm alle möglichen Hindernisse in den Weg legte und ihn dazu zwang, nur mit Ja oder Nein zu antworten und von »Mutmaßungen« Abstand zu nehmen.
    Nicht einmal nach dieser Tortur war alles vorbei.
    »Zum Schluss habe ich noch eine sehr simple Frage, Herr Diplomingenieur, anschließend sind Sie entlassen«, begann der Anwalt in seiner unangenehm freundlichen Art. »Warum haben diese Männer die Missionsstation und das Eisenbahnerlager überfallen?«
    »Weil sie uns töten wollten«, antwortete Oscar verärgert. Er hatte inzwischen gelernt, dass ihn ausführliche, differenzierte Antworten nicht weiterbrachten.
    »Zweifellos wollten sie Sie töten. Aber warum? Ich gebe zu, dass die Antwort schwieriger ist als die Frage. Ich bitte Sie trotzdem, zu antworten, Herr Diplomingenieur.«
    »Der Medizinmann hatte seine Männer davon überzeugt, dass es nötig ist, uns zu töten«, antwortete Oscar und kniff dann die Lippen zusammen. Im Saal war das Gemurmel vollkommen verstummt, und alle warteten auf Oscars Fortsetzung. Der Anwalt ebenfalls. Er wiederholte seine Frage nicht, sondern zog nur freundlich die Brauen hoch und bewegte seine Hand im Kreis, als könne er Oscar damit wieder in Gang bringen.
    »Es war nötig, uns zu töten«, zwang sich Oscar nach einem lauten Räuspern fortzufahren, »nachdem der Medizinmann prophezeit hatte, dass eine große schwarze Schlange kommen und das ganze Land verschlingen würde. Die Schlange des weißen Mannes ist die Eisenbahn. Sie würde die geheiligten Stätten der Kinandi, die Plätze, an denen ihre Ahnen begraben sind, und ihre Weiden fressen. Sie wollten nicht mit uns verhandeln, sondern uns bekämpfen, solange es nur eine geringe Hoffnung auf einen Sieg gab. Ich vermute, der Medizinmann begründete das damit, dass auf ein Ehrenwort eines Mzungu ohnehin kein Verlass sei.

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