Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
geschlichen. Glücklicherweise hatten sie innegehalten, aber nichts anderes als Vogelgezwitscher gehört. Plötzlich hatte der Magen eines großen Bullen zu rumoren begonnen, der nur zehn Meter von ihnen entfernt im Stehen ein Nickerchen hielt und sein Essen verdaute. Hätte er sie entdeckt, dann hätte er sie vermutlich getötet. Alte Bullen brachen schneller durch alle Bäume und Gebüsch, als ein Mensch laufen konnte.
Damals war es gut gegangen. Sie hatten sich leise ein Stück zurückgezogen und sich dann im Halbkreis wieder auf ihn zubewegt, bis sie seinen Kopf im Blick hatten. Die Stoßzähne waren jedoch nicht sonderlich bemerkenswert gewesen und hatten nur knapp sechzig Pfund gewogen.
Oscar dachte an die neue Instruktion, die er erlassen hatte. Elefantenbullen mit Stoßzähnen, die mehr als siebzig Pfund wogen, sollten nicht erlegt werden, weil solche großen Zähne sich nur mühsam tragen ließen. Ein Zahn von hundert Pfund oder mehr musste an einer stabilen, langen Stange zwischen zwei Trägern transportiert werden. Das war nicht nur ein unbequemes und sperriges Unterfangen, sondern erhöhte das Gewicht noch zusätzlich. Das war simple Mathematik. Wenn jeder Träger eine Last von siebzig Pfund oder weniger trug, kam unterm Strich ein besseres Resultat heraus, als wenn jeder zweite Stoßzahn von zwei Trägern getragen werden musste.
Eine Ausnahme hatte er Hans Christian zugebilligt, aber nur diese eine. Hans Christian brauchte ein paar riesige Stoßzähne für die Eingangstür seines Jagdunternehmens,
das er zu eröffnen gedachte. Wenn ein potenzieller Kunde derartige Stoßzähne sah, wie nur Oscar sie aus dem Busch mitbrachte, würde er sofort seine Geldbörse zücken.
Oscar hatte kein sonderliches Verständnis für Hans Christians kindischen Traum, professioneller Großwildjäger zu werden, denn er bezweifelte, dass sich damit ein großes Geschäft machen ließ. Die reichen Kunden wollten vermutlich nur das gefährliche Wild jagen, Nashörner, Elefanten, Löwen und Büffelbullen. Wer sich auf diese Art von Jagd spezialisierte, würde mit statistischer Sicherheit früher oder später getötet werden. Ein sehr schlechtes Geschäft.
Sie bewegten sich rasch durch das hohe Gras auf ein Wäldchen zu, in dem sie mit der Jagd beginnen wollten. Sie hatten es nicht eilig, denn wenn sie es geschickt anstellten, konnten sie diese große Herde vierzehn Tage lang jagen. Es war ein unbehagliches Gefühl, sich durch das hohe Gras zu bewegen, das die Sicht nach vorn auf einen Meter beschränkte. Man musste immer damit rechnen, Auge in Auge einem Nashorn gegenüberzustehen oder, noch schlimmer, einem wütenden Mbogo , einem Büffelbullen, der den richtigen Augenblick zum Angriff abgewartet hatte.
Deswegen waren alle erleichtert, als das Gras spärlicher und die Halme kürzer wurden und sie den Waldrand ausmachen konnten. Dort blieben sie stehen und sahen sich um. Oscar benutzte sein neues Zeiss-Fernglas, die kongolesischen Fährtensucher brauchten keine Hilfsmittel. Am Waldrand grasten etliche Zebras, was nicht so günstig war. Sie würden auf die offene Savanne fliehen, sobald sie die Menschen bemerkten, was die Elefanten aufschrecken konnte. Kadimba, dem dieses Problem natürlich bewusst
war, gab ein Zeichen, dass sie es ignorieren konnten. Wenn die Zebras flohen, glaubte Tembo , der Elefant, dass sie von Löwen verfolgt wurden, eine Gefahr, die nur die Zebras betraf.
Das leuchtete ein. Oscar gab das Zeichen, vorzurücken. Die Zebras hoben die Köpfe, betrachteten sie einige Sekunden lang misstrauisch, und dann verschwand die älteste Stute, gefolgt von ihrem Fohlen, Richtung Savanne. Nach kurzem Zögern folgte ihnen die übrige Herde. Besser als in den Wald, dachten Oscar und Kadimba und tauschten einen kurzen Blick des Einverständnisses aus.
Der Wald bestand überwiegend aus Miombobäumen und war zu Anfang angenehm licht. Sie konnten über hundert Meter weit sehen, und es gab kein raschelndes Laub. Elefanten verfügten über einen fast übernatürlichen Geruchssinn. Die Männer bewegten sich gegen den Wind, was den Elefanten nicht nur die Witterung erschwerte, sondern auch die Geräusche, die sie verursachten, von ihnen wegtrug. Die nackten Füße der Afrikaner bewegten sich fast lautlos voran, was man von den Stiefeln der Europäer, wie sie auch Kadimba trug, nicht behaupten konnte. Ein Weißer wäre barfuß jedoch nicht sonderlich weit gekommen. In seinen Indianerbüchern hatte Karl May von »Zartfüßern«
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