Die Brueder des Kreuzes
dass es furchtbar unangenehm sein muss. Ihr denn?«
»Aye, schon öfter. Es ist merkwürdig. Wenn es beginnt und man merkt, wie sich die Eingeweide mit jeder Schlingerbewegung zusammenkrampfen, hat man Angst, weil man glaubt, dass man stirbt. Aber später, wenn man dann wirklich krank ist, wird einem klar, dass die Hölle auch nicht schlimmer sein könnte als das hier …«
»Und man bekommt Angst, dass man nicht sterben könnte«, beendete St. Clair den Satz für ihn.
De Tremelay musterte ihn spöttisch.
»Es heißt, dass sich Frauen später nicht mehr an die Schmerzen der Geburt erinnern können. Glaubt mir, mein Freund, auf die Seekrankheit trifft das nicht zu. Ich werde niemals vergessen, wie das ist, und ich habe bestimmt nicht den Wunsch, es noch einmal zu erleben, aber ich weiß, dass es sich auf dieser Reise nicht vermeiden lassen wird. Das sollte mir doch meinen Platz im Paradies sichern, oder? Selbstlos durch die Hölle zu gehen, um das Heilige Land zu befreien …«
Bernard gähnte herzhaft.
»Ich gehe jetzt zu Bett. Übermorgen kommen wir nach Lyon. Hat Euer Vater zufällig erwähnt, wie lange wir dort bleiben werden?«
»Ja. Er sagt, wenn wir überhaupt Halt machen, dann höchstens für eine Nacht. Eigentlich war dort kein Halt eingeplant, doch er hält es für sinnvoll. Allerdings müssen unsere Ankunft und unser Aufbruch gut vorbereitet werden. In Lyon wird sich die Armee teilen. Philips Heer wird nach Osten ziehen, während wir der Rhone nach Avignon und Aix und weiter südwärts nach Marseille folgen.«
André atmete tief durch.
»Es ist noch ein weiterer Templertrupp unterwegs, der in Lyon zu uns stoßen wird, und sie bringen mindestens sechs Postulanten mit, dann sind wir also zwölf. Unsere Weihe in Lyon wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden und keinen Einfluss auf die Bewegungen der Armee haben. Ich gehe davon aus, dass sie in der Stadt abgehalten werden wird, im Rahmen eines der Nachtgebete.«
»Wahrscheinlich, aber da es ein geheimes Ritual sein wird, weiß ich nichts davon. Und wenn Ihr diesen Schritt erst getan habt, werdet Ihr eine Zeit lang nicht mehr viel von mir und Euren anderen Brüdern zu sehen bekommen. Das Templerdasein wird Euch zu sehr auf Trab halten, zumindest bis zur Novizenweihe.«
Bernard erhob sich, um zu gehen, zögerte jedoch.
»Was?«
»Ihr habt vorhin etwas gesagt … dass unsere Ankunft und unserer Aufbruch aus Lyon gut vorbereitet sein müssen. Was habt Ihr damit gemeint?«
St. Clair räkelte sich grinsend, dann beugte er sich wieder zum Feuer und stützte einen Ellbogen auf sein Knie.
»Denkt doch einmal nach, Bernard. Wenn wir morgen unterwegs sind, reitet einmal nicht blind und selbstmitleidig vor Euch hin, sondern seht Euch um und überlegt. Habt Ihr schon einmal eine solche Armee gesehen? Ihr habt ja beim Aufbau der Flotte mitgearbeitet, aber das hier ist noch etwas anderes. Auf den ersten Blick fällt es nicht auf, weil es nicht so deutlich zu sehen ist wie eine Flotte mit ihrem Meer von Masten. Hier kann man nur das sehen, was einen unmittelbar umgibt – aber wir sind von mehr als hunderttausend Männern umgeben, dazu all ihre Pferde und ihre Ausrüstung. Überlegt mal: Wie groß war die größte Truppe, mit der Ihr bis jetzt unterwegs gewesen seid?«
De Tremelay runzelte die Stirn.
»Hundert Mann«, sagte er schließlich. »Ich bin einmal mit meinem Lehnsherrn nach Navarra geritten, und ohne den Tross waren wir hundertneun Mann.«
»Und was meint Ihr, wie groß der Tross war?«
Bernard zuckte mit den Achseln.
»Stallknechte, Leibdiener, Köche, Schmiede … wer weiß? Zwanzig vielleicht? Möglicherweise noch ein paar mehr.«
»Sagen wir also hundertvierzig. Könnt Ihr Euch noch erinnern, ob es manchmal schwierig war, auf der Reise Lagerplätze zu finden?«
»Aye, jeden Tag. Ich weiß es noch genau, weil es meine Aufgabe war, die Lagerplätze auszukundschaften, und weil ich es gehasst habe. Jeden Tag musste ich dem eigentlichen Trupp weit vorausreiten, und manchmal habe ich den ganzen Tag gebraucht, um einen guten Platz zu finden.«
St. Clair stand auf und ließ den Blick über das schlafende Lager schweifen.
»Unser Lager allein ist schon riesig, oder? Über tausend Templer – viel mehr, genau wie Ihr sagt, wenn Ihr die Knechte mitrechnet. Es sind bestimmt dreihundert. Und das ist nur dieses eine Lager. Hier draußen müssen mindestens noch hundert solcher Lager sein – zweihundert, wenn die anderen nur halb so groß
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