Die Brueder des Kreuzes
sind wie das unsere. Und Ihr fragt Euch wirklich, warum es wichtig ist, die Reise bis in die letzte Einzelheit vorauszuplanen? Als wir uns gestern in Bewegung gesetzt haben, sind wir nicht alle geradeaus losmarschiert. Die meisten von uns haben sich diagonal bewegt, bis sich eine Front von etwa zwei Meilen Breite gebildet hat. Morgen werden wir es wieder so machen, nur wird die Front dann vier Meilen breit werden.«
»Und warum?«
»Wenn wir es nicht tun, mein Freund, werden unsere Hufe, unsere Räder und unsere Füße das Land zerstören, über das wir uns bewegen. Es gibt im ganzen Land keine Straße, die dafür gebaut wäre, ein solches Gewicht zu tragen, und die Felder werden wahrscheinlich auch so schon Jahre brauchen, um sich wieder zu erholen. Wir walzen ganze Wälder um. Hunderttausend Männer, ihre Pferde, ihre Wagen. Es ist ein Wunder, dass sich eine solche Riesenarmee überhaupt bewegen kann. In Lyon wird es mindestens einen Tag dauern, bis alle Kolonnen ihren Platz gefunden haben, und dann müssen sie auf den Feldern rings um die Stadt lagern. Ich finde den bloßen Gedanken an ein solches Unterfangen beängstigend – und ermüdend. Also ist es jetzt an mir, Euch eine gute Nacht zu wünschen.«
Gerade, als er sich erhob, hallte das Signal zur Sperrstunde durch das Lager, und er nickte seinem Freund zum Abschied zu.
»Schlaft gut, und versucht, nicht allzu sehr darüber nachzudenken, woher wir die Verpflegung für den Marsch bekommen sollen.«
»Verdammt, St. Clair. Jetzt werde ich die ganze Nacht kein Auge zutun.«
André wandte sich grinsend ab.
»Nun, wenn das so ist, dann wünsche ich Euch eine gute Nachtwache.«
7
A
NDRÉ ST. CLAIR sollte schnell begreifen, dass mit de m Abschluss der Weihezeremonie in Lyon nichts in s einem Leben mehr so war wie zuvor. Die strenge Tagesordnung der Templer, die auf der Ordensregel des heiligen Benedikt basierte und von Bernard von Clairvaux für den Ritterorden abgewandelt worden war, schrieb einen festen Rhythmus von Gebeten und Schriftlesungen vor, die die Mönche Tag und Nacht beschäftigt hielten – dies war natürlich die offensichtlichste Veränderung in seinem Leben und dem der anderen Novizen.
Zwischen den Gebetszeiten wurde gearbeitet, und es gab während des gesamten Tagesablaufs keine Lücke, in der sich der Novize einen Moment Zeit für sich selbst hätte nehmen können. Es war so, als sei die ganze Regel, nach der sie nun lebten, darauf ausgerichtet, den Neuankömmlingen sämtliche Erinnerungen an die Annehmlichkeiten früherer Zeiten auszutreiben.
Die eigentliche Zeremonie hatte André mit einem Gefühl beobachtet, das an ungläubige Belustigung grenzte, denn viele ihrer Elemente erinnerten – manchmal beinahe lächerlich – an Passagen des Rituals, dem man ihn vor Jahren bei seiner Aufnahme in den Orden von Sion unterzogen hatte. Doch obwohl auch jetzt großer Pomp und Ernst herrschte, vermisste St. Clair jenes Gefühl der Offenbarung, das ihn damals überwältigt hatte.
Es war, so dachte er, als sei die Zeremonie von einer Gruppe von Männern zusammengeschustert worden, die verzweifelt versucht hatten, einem eigentlich sterilen Ereignis Bedeutung einzuhauchen. Es fehlte nicht an Gebeten und Gesängen inmitten von Weihrauchwolken, und im von ein oder zwei Kerzen erhellten Halbdunkel wurden geheimnisvolle Rituale zelebriert, doch St. Clair spürte deutlich, dass dem Ganzen die Substanz fehlte.
Die Weihezeremonie war ein Spektakel, das den Teilnehmern und vor allem den Neulingen Ehrfurcht einflößen sollte. Am Ende des Rituals waren sie betäubt von Visionen der Größe ihres Opfers und fest überzeugt, dass sie den Rest ihres Lebens in meditativem Schweigen zubringen und nie wieder Zeit für ihr persönliches Vergnügen haben würden.
Wenn es den ehemaligen Postulanten doch einmal gelang, einen flüchtigen Moment für ein geflüstertes Gespräch zu stehlen, versuchten sie, sich gegenseitig vorzumachen, dass alles gar nicht so schlimm war, wie es schien, und dass jeder Mönch des Ordens die gleichen Strapazen durchmachte. Doch sie konnten sehen, dass dies nicht stimmte. Das Noviziat war eine Zeit bewusster Anstrengungen und Quälereien, die der gnadenlosen Auslese der Rekruten diente, um jene herauszusieben, die für das Mönchsleben nicht geschaffen waren.
Da man André im Voraus gewarnt hatte, war er fest entschlossen, sich nicht entmutigen zu lassen, sondern jeden Unmut herunterzuschlucken und diese Zeit des Fegefeuers zielstrebig
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