Die Brueder des Kreuzes
hinter sich zu bringen. Er war auf alles gefasst, womit ihn die Schinder des Ordens konfrontieren mochten, und befolgte jede Order und jede Anweisung augenblicklich und sorgfältig, ganz gleich, wie erniedrigend ihm die Aufgaben auch vorkommen mochten.
In seiner spärlichen Freizeit las und lernte er Hunderte nummerierter und untergliederter Paragrafen der Templerregeln auswendig.
Und jedes Mal, wenn er daran dachte, dass die Regeln, die ihnen allen so zu schaffen machten, mit Rücksicht auf die Strapazen des Feldzuges sogar noch abgemildert worden waren, beschlich ihn große Ungläubigkeit.
Schließlich hatten sie fünf Tage gebraucht, um Lyon hinter sich zu lassen.
Gleich am ersten Tag war die dortige Rhonebrücke unter dem Gewicht der Männer und Wagen eingestürzt. Dabei waren über hundert Mann ums Leben gekommen. Richard war gezwungen gewesen, jedes in näherer und weiterer Umgebung verfügbare Boot zu requirieren, um sein restliches Heer ans andere Ufer verschiffen zu lassen.
Danach waren die sechzigtausend Mann seiner Armee acht Tage lang geradewegs nach Süden gezogen und hatten sich glücklich gepriesen, wenn ihre drei Meilen breite Front zwölf Meilen am Tag zurücklegte. Sie hatten Avignon erreicht und sich von dort nach Aix gewandt, das einen weiteren Tagesmarsch entfernt lag.
Und zum Erstaunen aller hatten sie während ihres Vormarsches ständig weitere Rekruten angelockt.
Am achten Abend wurde André St. Clair unter den erstaunten Blicken der anderen Novizen von einem Trupp Sergeantenbrüder verhaftet, die auf Anordnung des Novizenmeisters handelten. Ohne ein Wort der Erklärung, ohne ihm auch nur die Gelegenheit zu geben, seine spärlichen Habseligkeiten mitzunehmen, wurde er gestellt; man legte ihm die Hände auf dem Rücken in Eisen und führte ihn ab.
Die nächsten Stunden verbrachte er streng bewacht in einem der vier Gefängniswagen, die zum Tross der Templer gehörten. Es war eine fensterlose, stabil gebaute Holzzelle, die nur durch einen vergitterten Schlitz belüftet wurde. Niemand sagte ihm, warum er festgenommen worden war oder wie die Anklage lautete, und er spürte die Hoffnungslosigkeit und Bestürzung wie Bleigewichte in seinem Inneren, denn nach der kurzen Zeit als Templernovize wusste er, dass er keine Stimme und keine Identität besaß und keinerlei Autorität, um diese Ungerechtigkeit in Frage zu stellen.
Dann führte man ihn mitten in der Nacht – es herrschte absolute Dunkelheit, also war es irgendwann nach dem Mitternachtsgebet und lange vor dem Frühgebet – vor ein Tribunal ranghoher Tempelritter, die sich bei Fackelschein im Zelt des Marschalls versammelt hatten. Dort wurde er durch Bruder Justin zur Anklage vorgeführt. Der Novizenmeister las St. Clairs vollen Namen – nur seinen Namen – von einer Pergamentrolle, die mehrere reich verzierte und offiziell aussehende Wachssiegel trug. Dann hob er den Kopf und betrachtete André wortlos von Kopf bis Fuß.
André stand aufrecht vor ihm, den Kopf hoch erhoben – und beinahe krank vor Anspannung.
Vier Schritte von Justin entfernt konnte er den ungewaschenen Körper des Mannes riechen – offenbar sein Verständnis von »Unantastbarkeit« –, der mit finsterem Gesicht und hängender Unterlippe gebeugt dastand und dessen Kugelbauch sich deutlich unter dem fleckigen Überwurf abzeichnete.
»Ihr werdet einer Reihe von Verbrechen angeklagt, André St. Clair, deren Schwere jeden Anspruch auf eine Mitgliedschaft in unserem großen Orden erlöschen lässt.«
Er beugte den Kopf erneut über das Pergament, bevor er fortfuhr.
»Man wird Euch unter Bewachung in die Templerkomturei nach Aix bringen, wo Ihr Euch verteidigen könnt, in der schwachen Hoffnung, dass man Euch vielleicht fälschlicherweise anklagt und Ihr verleumdet worden seid, sodass man Euch keinen Bruch Eurer Ordensversprechen vorwerfen kann. Möge Gott Euch beistehen. Bringt ihn fort.«
Kein anderes Mitglied des Tribunals hatte ein einziges Wort gesprochen, doch als St. Clair sich abwandte, sah er an der Rückseite des Zeltes ein Gesicht, das er kannte – einer der Postulanten, die mit ihm zusammen geweiht worden waren. Da er wahrscheinlich selbst zu dieser gottlosen Stunde irgendeinen Dienst für den Marschall zu versehen hatte, huschte er nun gesenkten Kopfes davon, doch André war sich sicher, dass dem Mann kein Wort entgangen war. Er war überrascht, dass ihn der übellaunige Bruder Justin nicht bemerkt und sofort hinausgeworfen hatte.
Doch in diesem
Weitere Kostenlose Bücher