Die Brueder des Kreuzes
besondere Betonung auf die Verfolgung ihrer eigenen Sekte, der schiitischen Minderheit, durch die sunnitischen Kalifen gelegt. Wisst Ihr darüber Bescheid?«
»Eigentlich nicht«, antwortete St. Clair. »Ich weiß, dass sich die Anhänger des Islam in zwei Gruppen teilen, Sunniten und Schiiten, und dass die beiden Gruppen einander nicht gewogen sind. Ich weiß, dass die Sunniten den anderen zahlenmäßig weit überlegen sind.«
Er zögerte kurz.
»Außerdem weiß ich, dass die Differenzen zwischen den beiden Gruppen beim Tod ihres Propheten Mohammed begonnen haben, weil es Streit um seine Nachfolge gab. Die sunnitischen Kalifen haben die Führung an sich gerissen, doch die Schiiten glauben, dass der Prophet selbst seinen Schwiegersohn zu seinem Nachfolger bestimmt hat und die Kalifen seine Wünsche missachtet haben.«
Der alte Mann nickte beeindruckt.
»Damit wisst Ihr schon mehr als die meisten Eurer Mitreisenden, denn der Großteil von ihnen glaubt einfach nur, dass die Sarazenen samt und sonders die Helfershelfer des Teufels und dem Tod durch das Schwert geweiht sind. Als Christen interessieren sie sich nicht für weitere Hintergründe. Sie glauben, dass die Armeen einem eindeutigen Ziel dienen: Sie ziehen nach Outremer, um den Feind aus Gottes Heiligem Land zu jagen. Sollten sie dabei zufälligerweise Ländereien erobern, an denen sich ihre Könige und Anführer bereichern, nun, dann werden diese Anführer Gott gewiss in aller Bescheidenheit dafür danken. Für den Frankenkrieger gibt es nur einen Feind, und das ist der Moslem. Dass es unterschiedliche Moslems gibt, beachtet niemand.«
Germain ließ den Blick über die Versammelten schweifen, bevor der fortfuhr.
»Natürlich sehen die Anführer der Christen in dieser Spaltung den Beweis dafür, dass die Religion des Islam falsch ist. Dass sie in einer solch grundlegenden Frage gespalten sind, so heißt es, zeigt eindeutig, dass schon das Fundament der Religion morsch ist … Und dies wiederum beweist natürlich die Reinheit des Christentums, in dem es keine vergleichbaren Glaubensstreitigkeiten gibt.«
Der alte Mann verzog den Mund zu einem Grinsen und legte den Kopf ein wenig schief.
»Der Unterschied zwischen den orthodoxen Riten der Byzantiner und den römischen Riten unserer Heimat ist für diese Theologen eigentlich gar kein Unterschied, sondern nur eine etwas andere Auslegung. Und natürlich haben ebendiese Theologen nicht die geringste Ahnung von der Existenz unseres Ordens – wie könnten sie also argwöhnen, dass wir einer anderen Philosophie folgen? Eines Tages werden wir sie zu ihrem eigenen Wohl aufklären müssen, meine Freunde.«
Seine Zuhörer lächelten über seinen kleinen Scherz, und er wandte sich wieder an St. Clair.
»Doch ich war bei Eurem Vetter und seiner Bedeutung für unser Tun in Outremer. Am Ende seiner Unterweisung durch seine arabischen Lehrer war Euer Vetter zu einem Mann geworden, der sich mühelos als Moslem unter Moslems ausgeben konnte. Danach hat er in Kairo drei Jahre als Zivilist gelebt und für ein Handelshaus gearbeitet. Dabei ist er viel gereist und hat uns mit Neuigkeiten versorgt.«
Germains Miene war jetzt sehr ernst.
»Von dort ist er nach Jerusalem gezogen und hat sich den dortigen Templern angeschlossen. Nach außen hin hat er für sie Kurierdienste versehen, doch in Wirklichkeit fungierte er als Verbindungsmann zwischen der Bruderschaft und gewissen ähnlich geheimen Sekten innerhalb der schiitischen Minderheit – was ihn nicht zum Freund des Sultans Saladin und seiner sunnitischen Anhänger gemacht haben kann, zu denen auch seine Häscher zählen müssen.«
Der alte Mann atmete tief durch.
»Es ist eine der größten Ironien unserer Existenz, dass Jerusalem und Palästina zwar von überwältigender Bedeutung für unseren Orden sind, dass wir ausgerechnet dort jedoch nur wenige Abgesandte haben – und dies vorerst auch so bleiben muss. Würden wir entdeckt, entstünde der geringste Verdacht, dass es uns gibt, würde uns die Kirche ausrotten und uns als Häretiker vernichten. Und so macht es uns die unbedingte Geheimhaltung fast unmöglich, in Outremer zu arbeiten. Wir müssen dort jeden Vorteil nutzen, der sich uns bietet, und dazu gehörte es, Kontakte zu den Schiiten zu knüpfen, die in Jerusalem fast genauso spärlich vertreten und so gefährdet sind wie wir selbst. Saladin und seine Heerscharen sind Sunniten. Getreu dem alten Sprichwort, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist, haben wir
Weitere Kostenlose Bücher