Die Brueder des Kreuzes
sein. Ich habe ihn vor ein paar Tagen nach Famagusta geschickt, und er ist heute Nachmittag zurückgekehrt. Er wird sich freuen, Euch zu sehen, und Ihr werdet den Abend genießen. Wir sehen uns also bei Tisch.«
MÖGLICH, DASS RICHARD ANDRÉ an diesem Abend bei Tisch sah – miteinander sprechen konnten sie jedenfalls nicht. Der Lärm war ohnehin zu groß, um sich zu unterhalten, und es gab viel zu viele neue Bekanntschaften. Die meisten der Ritter aus Outremer waren André auf Anhieb sympathisch. Er erkundigte sich, ob irgendjemand von ihnen etwas über den Verbleib des Templers Sir Alexander Sinclair wusste. Drei der Männer konnten sich an Alex erinnern, doch nach der Schlacht von Hattin hatte ihn keiner mehr gesehen. André schluckte seine Enttäuschung herunter und fragte sie weiter aus, nicht nur über Alex Sinclair, sondern über alles, was mit Saladin und seiner Art der Kriegsführung zu tun hatte.
Er speiste gut – dies war die Tafel des Königs –, doch er trank kaum etwas, denn er wollte sich kein Wort der Gespräche ringsum entgehen lassen. Diese Männer faszinierten ihn, denn sie waren Veteranen der Wüstenkriege und hatten von Angesicht zu Angesicht gegen den Feind gekämpft.
Als später der Wein und das Bier die Lautstärke und Heftigkeit der Diskussionen und Streitereien zu diktieren begann, machte er sich auf die Suche nach seinem Vater, doch Sir Henry war nirgendwo zu finden. André vermutete, dass er sich einfach in sein Quartier davongestohlen hatte, als er davon ausgehen konnte, dass man zu so fortgeschrittener Stunde keine Notiz mehr davon nehmen würde, ob er anwesend war oder nicht. Sir Henry versuchte für gewöhnlich, Anlässe wie diesen zu meiden, wo stets die Gefahr bestand, durch den unerwarteten Hieb eines überhitzten Trunkenboldes niedergestreckt zu werden.
Nach wie vor nüchtern, sah sich André noch einmal um und kam zu dem Schluss, dass sein Vater ein kluger Mann war, dessen Beispiel nachahmenswert war. Außerdem, so rief er sich ins Gedächtnis, musste er morgen früh aufstehen, um mit den beiden Königinnen auf die Jagd zu gehen, auch wenn dies das Letzte war, was er wünschte. Auch wenn Etienne de Troyes seinen Dispens noch so laut kundtat, seine Kameraden würden ihm diesen Ausflug nicht einfach nachsehen. Frauen waren den Templern schlicht ein Gräuel. Selbst seine kurze Begegnung mit Königin Joanna und Königin Berengaria, die ja auf persönlichen Befehl des Königs zustande gekommen war, war nicht unbemerkt geblieben – und unangenehm aufgefallen. Mit dem bevorstehenden Ausflug würde es ähnlich sein, doch ihm blieb keine Wahl.
Er verließ das Gelage, just als zwei Ritter begannen, einander auf einer hastig freigeräumten Fläche mit gezogenen Dolchen zu umkreisen.
Es war eine schöne Nacht, und als er durch das Stadttor auf den Hafen zuschritt, hatte er den Lärm des Speisesaals weit hinter sich gelassen. Allerdings erhoben sich vor ihm andere Stimmen, und wieder hörte er Stahl auf Stahl prallen, drängender diesmal als die Geräusche der Raufbolde im Saal. Diese hatten zum Spaß miteinander gekämpft, sonst hätten sie niemals in Gegenwart des Königs ihre Klingen ziehen dürfen. Die Männer vor ihm kämpften ohne Hemmungen, und er konnte an ihren Flüchen hören, dass hier bald Blut fließen würde. Dies mussten Soldaten sein, und wenn er sich weiter näherte, würde es seine Pflicht als Offizier und Ritter sein einzugreifen – und gleichzeitig würde es Wahnsinn sein, sich diesen unbekannten, aufgebrachten und wahrscheinlich betrunkenen Fußsoldaten entgegenzustellen. Nur ein Narr wäre ein solches Risiko eingegangen.
Er blieb stehen und blinzelte lauschend in die Dunkelheit. Er war nah genug, um zu hören, was vor ihm passierte, aber zu weit entfernt, um etwas zu sehen – oder gesehen zu werden. Er zögerte noch einen Moment, dann fasste er einen Entschluss und wandte sich von den Geräuschen der Streiterei ab. Bald begriff er, dass er nun auf das kleine Plateau zuging, auf dem die Begegnung zwischen Richard und Isaac Comnenus stattgefunden hatte. Jetzt kam auch Isaacs gewaltiger Pavillon in Sicht, umringt von den flackernden Fackeln der Leibgarde Richards, die zum Schutz des früheren Feindes abgestellt war.
Da man ihn anrufen würde, wenn er weiter in diese Richtung ging, wandte er sich wieder dem Strand zu, wo sich die Geräusche der Rauferei nun von ihm entfernten. In diesem Moment trat der Vollmond hinter einer Wolke hervor, und sein Licht tauchte
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