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Die Brueder des Kreuzes

Die Brueder des Kreuzes

Titel: Die Brueder des Kreuzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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dass auch Joanna mitten im Schritt angehalten hatte. Sie hatte den Bogen jetzt gehoben, doch ihr rechter Fuß befand sich dort, wo der linke hätte sein sollen, sodass ihr Gleichgewicht gestört war und sie nicht an der Bogensehne ziehen konnte. Doch im selben Moment, als er begriff, dass sie den Schuss nicht ausführen konnte, vollbrachte Joanna das Unmögliche: Sie richtete sich mit einer fließenden Bewegung auf, trat auf den linken Fuß vor und zog die Bogensehne bis an ihre Wange zurück.
    Der Hirsch zuckte und setzte zum Sprung an, um vor dem Geräusch zu fliehen, doch der Pfeil war bereits zu seinem Ziel unterwegs. Er bohrte sich hinter der Schulter des Tieres in dessen Brust und traf sein Herz, sodass es auf der Stelle zusammenbrach.
    André war nicht einmal in der Lage, Joanna zu ihrem Meisterschuss zu beglückwünschen. Er stand einfach nur da und starrte sie mit offenem Mund an. Sie erwiderte seinen Blick mit fragend hochgezogenen Augenbrauen, als wollte sie sagen: »Glaubt Ihr es jetzt?«
    Etwa eine Stunde später folgte ein weiteres Beispiel derselben Virtuosität. Diesmal war es Berengaria. Sie folgten der Spur eines Wildschweins, als plötzlich ein großer Hase aus dem Dickicht gesprungen kam und dann im Zickzack über die Lichtung raste, um sich vor ihnen in Sicherheit zu bringen. Die Prinzessin erspähte ihn als Erste, fuhr herum und verfolgte seinen Kurs mit gespanntem Bogen. Wieder war André überzeugt, dass es zu spät war. Doch sie schoss zielsicher, und ihr Pfeil traf den Hasen in der Luft und durchbohrte ihn einen halben Herzschlag bevor er im hohen Gras des Waldrandes unerreichbar gewesen wäre.
    Gegen Mittag schlug Sylvester vor, eine Essenspause einzulegen. Sie hatten die Spur des Wildschweins auf felsigem Untergrund verloren und machten daher dankbar Halt, um sich aus den Körben mit Brot, Obst und kaltem Fleisch zu versorgen, die der Koch für sie vorbereitet hatte. Der Himmel war nach wie vor bedeckt, und Sylvester fragte die Frauen, ob sie die Jagd fortsetzen wollten oder ob sie genug hatten und für den Rückweg bereit wären. Dies stand jedoch außer Frage. Sie würden nicht gehen, sagte Joanna, bevor sie ein ordentliches Wildschwein erlegt hätten. Sie sah Berengaria an, die zustimmend nickte, ohne den Blick von dem Stück Fasanenfleisch in ihren Händen zu heben.
    André beobachtete die Szene schweigend. Er war überrascht, wie sehr er diesen Ausflug genoss.
    Als sie sich für die Fortsetzung der Jagd vorbereiteten, begann es zu regnen. Zunächst war es nur schwacher Regen, ein Schauer, von dem sie glaubten, dass er bald vorüber sein würde. Doch er entwickelte sich zu einem derartigen Wolkenbruch, dass er ihr Fortkommen behinderte.
    Sie befanden sich mitten im Wald in hügeligem Gelände, und das Dröhnen des Regens auf dem Blätterdach über ihnen war ohrenbetäubend. Doch die Blättermassen hielten den Regen auf Dauer nicht ab, sondern lenkten ihn um, sodass er von Blatt zu Blatt rann und schließlich in Bächen zu Boden stürzte, die selbst die gewachste Wolle ihrer Schlechtwetterumhänge durchdrangen.
    Irgendwann beugte sich André zu Sylvester hinüber und rief ihm ins Ohr: »Wart Ihr es nicht, der Richard heftigen Regen vorausgesagt hat?«
    Der Jäger hielt sich die Hände wie einen Trichter vor den Mund, um sich im Lärm des Regens Gehör zu verschaffen.
    »Aye, aber an so etwas habe ich dabei nicht gedacht. Das hier ist der schlimmste Regen, den ich seit Jahren erlebe. Ungefähr eine halbe Meile vor uns ist eine Höhle in einer Felsenwand. Ich habe sie vor ein paar Wochen entdeckt, als ich das erste Mal hier auf der Jagd war. Sie ist schwer zu erreichen, aber sie ist geräumig und trocken, und wir können Feuer machen, vorausgesetzt, es sind keine Bären dort.«
    »Feuer? Gibt es dort Brennholz?«
    »Wahrscheinlich. Es kommt darauf an, wer sich in letzter Zeit dort aufgehalten hat. Die Einheimischen benutzen die Höhle als Unterschlupf, und normalerweise füllen sie das Brennholz wieder auf, bevor sie gehen. Als ich die Höhle gefunden habe, war ein ganzer Stapel da.«
    Er zuckte mit den Achseln.
    »Natürlich gibt es auch Leute, die das letzte Holzscheit aufbrauchen, ohne einen einzigen Zweig wieder nachzulegen. Wollt Ihr es versuchen?«
    »Nur zu. Meint Ihr, die Höhle ist groß genug?«
    »Oh, sie ist groß, viel größer, als es von außen aussieht. Der Eingang ist sehr schmal, doch der Innenraum ist geräumig und hoch. Es gibt drei miteinander verbundene Kammern, die

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