Die Brueder des Kreuzes
feindlichem Gebiet. Eine Landschaft wie die, der sie sich jetzt gegenübersahen, hätte sich Harry niemals ausmalen können. Sie waren von einem Meer aus Steinen umgeben, einer weiten Ebene voll glatt abgerundeter Felsen in allen Größen und Formen. Manche davon hatten die Größe von Häusern oder gar Burgen, andere waren so vergleichsweise klein wie ein Heuwagen oder eine Bauernkate. Jeder einzelne dieser Felsen konnte einer ganzen Gruppe von Männern Deckung geben, und zu zweit hatten André und Harry nicht genug Augen, um sich unablässig umzusehen. Harry musste sich sehr beherrschen, um sein Pferd nicht zum Weiterreiten anzutreiben.
Harry umkreiste die Ansammlung massiger Brocken, die den Gipfel eines kleinen Hügels krönte, der meilenweit die höchste Erhebung war. Es waren nur sechs Steine, doch sie gruppierten sich so exakt um den Mittelpunkt des Gipfels, als hätte ein Riese sie dort abgelegt. Der höchste war ein vom Sand geformter Monolith, der sich nach oben hin verjüngte und doppelt so hoch war wie Harry auf seinem Pferd.
»Lacht nur, St. Clair«, sagte er leise, während er den Blick über den Horizont schweifen ließ, »aber das Ganze gefällt mir überhaupt nicht. Ich finde es verrückt von Euch, Euch hier hinauszuwagen, und es ist noch verrückter von mir, dass ich Euch begleitet habe. Ich kann Euch wirklich gut leiden, aber das hier ist der reine Wahnsinn. Hinter jedem dieser Steine könnten sich Legionen dieser verlausten Kerle verbergen. Vielleicht zielen sie gerade auf uns, und wir sterben gleich, ohne sie auch nur zu Gesicht bekommen zu haben. Lasst uns in Gottes Namen weiterreiten. So können wir uns wenigstens die Illusion bewahren, dass es uns gelingen könnte, zwischen den Felsen hindurch zu entfliehen.«
André St. Clair schüttelte sacht den Kopf.
»Es könnte durchaus sein, dass Ihr recht habt, mein Freund. Und Gott im Himmel weiß, dass Euer Talent, Eure feige Haut zu retten, legendär ist. Ich halte es dennoch für einen Fehler, jetzt schon zu gehen. Wie schon gesagt, der Mann, den wir hier treffen sollen, könnte gute Gründe für seine Verspätung haben.«
»Verspätung nennt Ihr das? Wir warten jetzt seit Stunden auf ihn.«
»Eine Stunde, Harry, höchstens eine Stunde. Mehr nicht. Wir waren schließlich zu früh.«
»Immerhin habt Ihr gesagt, ›der Mann, den wir hier treffen sollen‹, nicht ›Sinclair‹.«
André warf ihm einen raschen Blick zu.
»Was soll das denn heißen?«
»Dieser Kerl könnte doch sonstwer sein. Vielleicht sogar ein Moslembandit, der Euch fangen will, um Lösegeld zu erpressen. Wir haben keinen Beweis dafür, dass er der Mann ist, den Ihr sucht.«
»Nein, den haben wir nicht. Wir haben aber auch keinen Beweis dafür, dass er es nicht ist. Also werden wir warten. Und so Gott will, werden wir es ja sehen.«
Er trieb sein Pferd zur Kante des Gipfels, und Harry folgte ihm und blickte auf die gespenstisch gleichen Felsen dieser merkwürdigen Landschaft hinaus. Wieder reckte sich St. Clair.
»Master Douglas«, sagte er, »ich habe vor, jetzt abzusteigen, um es mir ein Weilchen bequem zu machen. Ihr solltet das Gleiche tun. Und überlegt Euch ein anderes Gesprächsthema … etwas Nettes, Positives.«
Douglas schwieg, aber beide Ritter schwangen sich von den Pferden und lockerten deren Sattelgurte, um auch ihnen eine Weile Erleichterung zu verschaffen.
»Hat man Euch denn nicht ermahnt, nie in Eurer Wachsamkeit nachzulassen?«
Die Stimme ertönte direkt hinter ihnen, so nah, dass der Sprecher nicht einmal zu rufen brauchte, und die beiden Männer fuhren so schnell herum und griffen nach ihren Waffen, dass ein unbeteiligter Beobachter über ihre Bestürzung hätte lachen können.
Harry Douglas reagierte schneller als St. Clair. Sein Schwert fuhr aus der Scheide, während er seine Drehung vollendete, und er hatte es halb zum Angriff gehoben, bevor er begriff, was er vor sich sah. André hatte unglücklich gestanden, als die Stimme ertönte, und er musste erst sein Gleichgewicht finden, bevor er herumfahren konnte. Doch seine Hand hatte sich kaum um seinen Schwertgriff geschlossen, als ihn seine Augen eines Besseren belehrten und er sich aufrichtete. Zwar ließ er den Schwertgriff nicht los – die Torheit solch naiven Verhaltens war ihm schon vor Jahren eingetrichtert worden –, doch seine Anspannung ließ genauso rasch nach, wie sie aufgekommen war. Er sah sich sorgfältig um, doch es gab nichts zu sehen.
Der Mann, der ihnen gegenüberstand, war
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