Die Brueder des Kreuzes
allein.
»Wer seid Ihr?«, fragte Harry, bevor St. Clair etwas sagen konnte.
Der Fremde sah ihn einfach nur an.
»Wer soll ich schon sein? Wen habt Ihr denn hier um diese Tageszeit mitten in der Wüste erwartet? Ich bin Alexander Sinclair.«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Andrés Herz tat einen Satz vor Erleichterung, nicht, weil er Zweifel gehabt hatte, wer der Mann war, sondern weil er sich nicht sicher gewesen war, ob er seinen Vetter nach so vielen Jahren wiedererkennen würde. Vielleicht hätte er ja das Gesicht trotz der Veränderung erkannt, doch die tiefe Stimme mit dem fremden schottischen Akzent war auf jeden Fall die alte. Bevor er ein Wort sagen konnte, richtete der Fremde den Blick von Harry auf ihn.
»Ihr seid André, das kann ich erkennen. Ich erinnere mich an Eure Augen und die kleine Kerbe in Eurer Nase. Gut, dass Ihr sie in Eurer Nachricht erwähnt habt, sonst hätte ich nie geantwortet. Ich habe im Moment genug von den Menschen.«
André lächelte. Er war überglücklich. Seit seiner Ankunft in Outremer hatte er nicht viel Gutes über den Mann gehört, und er hatte schon begonnen zu befürchten, dass sich sein Vetter tatsächlich von seinen Idealen abgekehrt haben könnte. Jetzt jedoch spürte er auf Anhieb, dass sich Alec Sinclair nicht einen Deut verändert hatte. Er war hochgewachsen und hager, hatte dunkle Augen und ein schmales Gesicht, lange Beine und breite, kräftige Schultern. Sein Gesicht war von einem kurz geschnittenen, eisengrauen Bart und der Kapuze seines Kettenhemdes eingerahmt und von tiefen Falten durchzogen. Er trug die volle Uniform eines ranghohen Templers. Sein Kettenpanzer hatte das polierte Aussehen, das nach jahrelangem Aufenthalt in der Wüste entstand, wo die Trockenheit und der unablässig fliegende Sand das Metall bearbeiteten. Er trug ein langes Schwert, das allerdings so befestigt war, dass es zwischen seinen Schultern hing. Auch seine Beinkleider unterschieden sich von der üblichen Tracht, denn sie reichten ihm nicht nur bis zum Unterschenkel, sondern bis zum Knöchel und waren nach unten hin weit ausgestellt, sodass man sie über festem Reitschuhwerk tragen konnte.
»Dann bin ich ja froh, dass ich meine Nachricht so formuliert habe«, erwiderte er immer noch lächelnd. »Dabei war es gar nicht als subtile Botschaft gedacht. Ich dachte einfach nur, Ihr würdet Euch vielleicht noch an mein kleines Missgeschick erinnern. Schön, Euch zu sehen, Vetter. Wie lange es doch schon her ist. Bitte begrüß auch meinen guten Freund, einen Landsmann von Euch, Harry Douglas. Harry, das ist mein Vetter Alexander Sinclair.«
Er hielt ihm den Arm entgegen, und Alec packte ihn fest und lächelte mit den erstaunlich hellen, warmen Augen, an die sich André noch gut erinnern konnte. Doch dann drehte André kaum merklich den Arm und nahm die Hand seines Vetters in beide Hände. Abgesehen von einem flüchtigen Aufflackern der Überraschung ließ sich Alec nichts anmerken, vollführte aber den entsprechenden Antwortgriff der Bruderschaft. Dann wandte er sich Harry zu und schüttelte auch ihm die Hand. Diesmal begann er den Griff, der jedoch ohne Reaktion blieb.
»Freut mich, Euch kennenzulernen, Sir Harry Douglas«, sagte er. »Wisst Ihr, wovon wir gerade gesprochen haben, Euer Freund und ich?«
Harry schüttelte den Kopf, und Sinclair lachte, ein tiefer Kehllaut, den er jedoch erstickte.
»Von seinem Zinken«, sagte er. »Mit der Kerbe. Die hat er von mir bekommen, eines Sommernachmittags, als er noch zu jung war, um sich anständig zu wehren. Ich habe mich umgedreht, um zu sehen, was er machte, und er war direkt hinter mir. Das Ende meines Speers, den ich unter dem Arm hatte, hat ihn dabei von der Seite erwischt und ihm die Nase ins Gesicht gerammt. Es war zwar eine deutliche Verbesserung, denn er ist schon als Junge hässlich gewesen, aber ich habe mir trotzdem mindestens eine Stunde lang Vorwürfe gemacht.«
Er legte eine Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen.
»Nun, zumindest hat es sich angefühlt wie eine Stunde. Es könnte auch weniger gewesen sein.«
Er hielt inne und ließ den Blick von einem Mann zum anderen schweifen. Seine Miene wurde nüchtern.
»Ihr habt gewiss davon gehört, wie ich mich seit meiner Rückkehr aus der Gefangenschaft bei den Ungläubigen verändert habe?«
Er hatte sie beide angesprochen, doch sein Blick war auf André gerichtet, und André erwiderte seinen Blick nickend.
»Aye, wir haben einige Merkwürdigkeiten gehört, die uns
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