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Die Brueder des Kreuzes

Die Brueder des Kreuzes

Titel: Die Brueder des Kreuzes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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bevor der Sturm losbrach.
    Sinclairs nächster bewusster Gedanke war, dass ihn die Stille geweckt hatte. Nach dem Tumult der Alpträume, die vage, aber voller Lärm und Grauen in seinem Hinterkopf lauerten, kam er sich vor wie in einem Grabgewölbe. Eine Weile blieb er mit geschlossenen Augen reglos liegen und dachte an nichts außer an die absolute Stille, die ihn umgab. Erst als er schließlich versuchte, die Augen zu öffnen, begriff er, dass etwas nicht stimmte. Zwar zuckten seine Augenlider gehorsam, doch er konnte sie nicht öffnen, weil etwas von außen dagegen drückte. Panisch holte er tief Luft, und sein erster Reflex war, mit beiden Händen nach seinem Gesicht zu fassen. Er hatte vergessen, dass sein linker Arm festgebunden war. Doch seine rechte Hand hob sich sofort und traf auf etwas, das sich anfühlte wie Stoff – mit Sand bedeckter Stoff, der sein Gesicht verhüllte. Er hatte nicht geträumt: Das Chaos, das Heulen wie von tausend verdammten Seelen, der wirbelnde Sand, der ihn zu ersticken und in die Hölle zu ziehen trachtete, das alles war kein Traum gewesen.
    Was hatte Lachlan gesagt? Die Luft ist totenstill und schwül , und es könnte sein , dass ein Sturm heraufzieht . Er hatte also recht gehabt. Doch wo war er jetzt? In den Träumen war er nicht aufgetaucht.
    »Lachlan? Bist du da?«
    Das faltige Tuch dämpfte seine Stimme, doch sie war so laut, dass Lachlan sie hätte hören müssen. Widerstrebend gestand er sich ein, dass ihn das Schweigen, das auf seine Frage folgte, nicht überraschte. Lachlan Moray musste im Freien gewesen sein, als die Katastrophe losbrach, und es bestand kaum eine Chance, dass er inmitten eines Sandsturms in der Lage gewesen war, ihre Höhle wiederzufinden.
    Vorsichtig beugte er sich vor, so weit er konnte, und wickelte sich mit einer Hand die Überreste seines Leinenmantels vom Kopf.
    In der Totenstille der Höhle verschaffte er sich einen Überblick über seine Lage. Wenn er überleben wollte, musste er es allein schaffen.
    Er krümmte die Finger seiner linken Hand und spürte, wie sie sich bewegten – schwach, glücklicherweise aber vor allem schmerzfrei. Der Schmerz war vorüber, zumindest vorerst, sein Kopf war klar, und er fühlte sich gesund.
    Nun hieß es also aufzustehen – auch dies keine leichte Aufgabe für einen Mann, dessen linker Arm an seinem Oberkörper festgebunden war. Er wollte mit den Beinen ausholen, doch sie bewegten sich nicht, und wieder bekam er es mit der Angst zu tun. Jetzt endlich öffnete er die Augen – auch dies bereitete ihm zu seiner Erleichterung keine Schmerzen – und stellte fest, dass er von der Hüfte abwärts im Sand feststeckte.
    Gleißendes Licht zu seiner Linken verriet ihm, dass draußen die Sonne schien, doch im Inneren der Höhle war alles durch einen dicken Teppich aus Sand gedämpft.
    Er dankte Gott, dass Lachlan das Kopfende seiner Bahre höher gelagert hatte, denn sonst hätte ihn der Sand vollständig bedeckt und ihn im Drogenschlaf erstickt. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, konzentrierte er sich darauf, seine Beine zu bewegen. Unter Schwierigkeiten beugte er die Knie, bis zuerst das eine, dann das andere freikam und er seine Beine auf den Sand legen konnte. Dann drehte er sich vorsichtig auf die rechte Seite, klammerte sich dort an den Speer, kämpfte sich mühsam zum Sitzen hoch und schaffte es beim dritten Versuch, sich hinzustellen. Schwankend stand er da und klammerte sich an den Speer, der sich mit ihm aufgerichtet hatte.
    Der Haken an der Wand trug nicht nur die Lebensmittelvorräte, die Lachlan ihm hiergelassen hatte, sondern auch einen Gürtel mit einem Dolch in einer Scheide. Sofort fiel sein Blick auf die Stricke, die seinen Arm an seinen Oberkörper banden, und Sekunden später klemmte er sich die Scheide fest unter den gefesselten Arm und zog die Klinge heraus.
    Mit drei Schnitten war der geschiente Arm befreit, doch sein Gewicht zerrte sofort an seiner Schulter und weckte das Echo der alten Schmerzen. Er ließ den Dolch zu Boden fallen und griff nach dem Wasserschlauch. Es würde nicht einfach sein, mit einer Hand aus dem schweren, nachgiebigen Beutel zu trinken. Doch Lachlans Becher musste noch hier sein, irgendwo unter dem Sand, aber dicht neben ihm.
    Langsam ließ er sich auf dem Felsvorsprung, auf dem das Kopfende der Bahre gelegen hatte, zum Sitzen nieder. Er legte sich den Wasserschlauch auf die Knie, beugte sich vor und wühlte mit den Fingern im Sand, bis er den Becher gefunden hatte.

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