Die Brueder des Kreuzes
der ihn festhielt, ließ ihn einmal herumschwingen, um ihn dann wieder hinzustellen und den Blick auf seine Augen zu heften.
»Ihr seht prächtig aus, mein alter Freund, genau, wie ich es gehofft hatte, und das ist der schönste Anblick, der meinen Augen seit Wochen vergönnt ist. Wie lange ist es her, sieben Jahre? Acht?«
»Fünf, Herr«, murmelte Henry und lächelte, denn ihm war klar, dass Richard Plantagenet auf den Tag genau wusste, wann sie sich das letzte Mal begegnet waren.
»Aber lasst Euch durch mich nicht von Eurer Mahlzeit abhalten, denn Ihr seid ja offensichtlich weit gereist und müsst hungrig sein.«
Ein rascher Blick nach rechts hatte ihm zwei nasse, schlammverkrustete Reitumhänge gezeigt, die über dem Rücken eines Lehnstuhls hingen, und zwei lange Schwerter, die über Kreuz auf den Armlehnen lagen. Der April war ein langer, schmutziger Monat voller Regen und stürmischer Winde gewesen, und der nur noch wenige Tage entfernte Mai blickte ihnen noch trostloser und für die Jahreszeit ungewöhnlich feindselig entgegen.
»Ihr habt recht, alter Freund, ich bin völlig ausgehungert.«
Richard fuhr herum und kehrte an den Tisch zurück, wo er das Hühnerbein wieder ergriff und seinem Begleiter damit zuwinkte, bevor er die Zähne in das Fleisch senkte und herzhaft zubiss. Er kaute ein paar Mal, bevor er den Bissen in seiner Wange verstaute und wieder zu sprechen begann.
»Ich nehme an, Ihr kennt de Sablé?«
Der Ritter namens de Sablé stand nach wie vor am Tisch. Jetzt nickte er St. Clair höflich zu, und dieser schüttelte ebenso höflich den Kopf und trat auf ihn zu.
»Nein, ich fürchte, ich kenne ihn nicht, doch er ist hier herzlich willkommen, genau wie Ihr, Herr.«
Während sie sich die Hände reichten, betrachtete er den Mann abschätzend. Er musste den Kopf heben, um de Sablé in die leuchtend blauen Augen zu blicken. Dieser wiederum neigte den Kopf und lächelte ihn an, und sein Händedruck wurde umso fester, je herzlicher St. Clair auf sein Zögern reagierte.
»Robert de Sablé, Sir Henry«, sagte er. »Ritter von Anjou und Herzog Richards Vasall, genau wie Ihr. Verzeiht uns die späte Störung.«
»Unsinn«, knurrte Richard und rülpste leise. »Uns verzeihen? Was gibt es da zu verzeihen – dass wir ihn an seine Pflicht erinnern? Henry ist mein Vasall, ganz wie Ihr sagt, und als solcher ist er verpflichtet, mir jederzeit zur Verfügung zu stehen. Wenn ich die ganze Nacht auf bin, müssen sich meine Vasallen damit abfinden, dass sie mich zu bedienen haben, und wenn es nur einmal in fünf Jahren geschieht. Ist es nicht so, Henry?«
»Ja, Herr.«
»Herr, Mylord, Herr, Mylord. Früher habt Ihr mich Dickon genannt und mich geohrfeigt, wenn ich nicht folgsam war.«
»Das ist wahr, Herr.«
St. Clair gestattete sich ein kleines Lächeln.
»Aber das ist viele Jahre her, und Ihr wart noch ein Junge, der geformt werden musste wie jeder Junge. Jetzt seid Ihr Graf von Poitou und Anjou, Herzog von Aquitanien und der Normandie und Herr über die Bretagne, die Maineregion und die Gascogne. Ich gehe davon aus, dass nur wenige Menschen es heute noch wagen würden, Euch mit Dickon anzureden.«
»Hah!«
Richards Augen glänzten vor Entzücken.
»Es wagen, mich mit Dickon anzureden? Es würde kaum jemand zu sagen wagen, was Ihr gerade gesagt habt. Es freut mich zu sehen, dass Ihr noch Rückgrat habt.«
Er wandte sich an de Sablé.
»Dies ist der Mann, der mich alles gelehrt hat, was ich über Waffen und über die Kriegsführung weiß, Robert. Er hat mich gelehrt, mit Schwert und Lanze, Axt und Armbrust umzugehen, lange bevor William Marshall von England in mein Leben getreten ist. Er hat mich gelehrt, täglich aufs Neue nach Vollendung zu streben; er hat mich gelehrt, meinen Körper zu formen. Marshall verdanke ich die Ausbildung in meiner Jugendzeit, doch das meiste, was ich weiß, habe ich als kleiner Junge von diesem Mann hier gelernt. Ich weiß, dass ich Euch das schon erzählt habe, aber nun steht er leibhaftig vor Euch – der Mann, der mich zu dem gemacht hat, der ich bin.«
Das möge Gott verhüten !
Dieser Gedanke kam Sir Henry ganz unwillkürlich, denn die Komplimente schmeichelten ihm zwar, doch es gab so vieles an dem Mann, der Richard Plantagenet war, das den älteren Ritter erschütterte und entsetzte. Gewiss stimmte es, dass er dem Jungen den Speerkampf beigebracht hatte; er hatte ihn von seinem achten bis zu seinem vierzehnten Jahr in der Kampfkunst und in militärischer
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