Die Brueder des Kreuzes
von seinem Beobachtungsstand an der Spitze einer hohen Rampe aus um. Vor ihm breitete sich ein riesiges Übungsgelände aus, dessen Grenze am Horizont verschwand. Hinter ihm erhoben sich jenseits eines breiten Wassergrabens die hohen Mauern von Schloss Baudelaire, in deren langgezogenem Nachmittagsschatten er stand.
Zu seiner Rechten gehörte das Feld den Pferden und Reitern, Rittern und berittenen Soldaten, die ganz darauf konzentriert waren, sich in Formation über das Feld zu bewegen. Diese Männer konnte Henry getrost sich selbst überlassen.
Er interessierte sich weitaus mehr für das Geschehen auf der linken Seite des Feldes, wo scheinbar endlose Reihen von Armbrustschützen Salve um Salve auf die Zielscheiben abschossen, die vor ihnen standen. Etwas weiter entfernt trainierten Richards Bogenschützen mit ihren tödlichen Langbogen, doch sie waren so weit weg, dass St. Clair sie kaum sehen konnte und nur raten konnte, womit sie gerade beschäftigt waren. Sie interessierten ihn an diesem Nachmittag genauso wenig wie die Reiter, denn sein ganzes Augenmerk galt den Armbrustschützen, um deretwillen er schließlich letzten August nach Aquitanien zurückgekehrt war.
Inzwischen schrieb man den Juni im Jahr des Herrn 1190, und die Zeit war verstrichen wie ein rasender, bruchstückhafter Traum.
Die Aufgabe, die ihn bei seiner Rückkehr in Poitiers erwartete, war beachtlich gewesen, und er hatte kaum gewusst, wo er anfangen sollte. So hatte er in der Woche nach seiner Ankunft Trupps von Anwerbern ausgesandt, die Richards Vasallen in Aquitanien, Poitou und Anjou aufsuchen und ihnen die Durchschlagskraft ihrer Waffen demonstrieren sollten. Diese Anwerber hatten ihre Kunst in Tours, Angers, Nantes, Nevers, Bourges, Angoulême und Limoges sowie Hunderten verstreuter Dörfer gezeigt und jedes Mal verkündet, dass Herzog Richard auf der Suche nach Freiwilligen war, um die Reihen seines neuen Eliteartilleriekorps zu füllen. Schon im ersten Monat hatten sich über tausend Männer auf den Weg nach Poitiers gemacht, wo Henry sie unverzüglich den Armbrustschützen aus Anjou zur Ausbildung übergeben hatte. Zur selben Zeit waren die ersten neuen Waffen aus den Schmieden in Poitiers und Tours eingetroffen, wobei Erstere die neuen Stahlarmbrüste lieferten, Letztere schlichtere und leichtere Armbrüste.
Zehn harte, anstrengende Monate später standen Henry nun zwölfhundert voll ausgebildete neue Armbrustschützen zur Verfügung – dreihundert davon mit Stahlarmbrüsten – sowie über zweitausend neue Rekruten in unterschiedlichen Ausbildungsstadien. Über vierhundert von ihnen waren ihm von Philip Augustus von Frankreich geschickt worden, der ihn höflich darum bat, für ihn einen Kader von Männern auszubilden, die wiederum in Frankreich die Ausbildung weiterer Rekruten übernehmen konnten.
Im Großen und Ganzen hatte Henry das Gefühl, dass sich seine Mühen gelohnt hatten. Erst am Morgen hatte ihn die Nachricht erreicht, dass Richard in der vergangenen Woche in Frankreich gelandet war und dass der Herzog, der inzwischen König von England war, im Lauf des Nachmittags in Baudelaire eintreffen würde. Diese Nachricht hatte ihn veranlasst, seine neuen Soldaten auf dem Feld zu versammeln.
Es war dieses großartige Übungsfeld, das den Herzog bewogen hatte, dem Schlossbesitzer und Herrscher über die umliegenden Ländereien Baudelaires, Edouard de Balieul, die Anwesenheit seiner gesamten Armee zuzumuten. St. Clair, der de Balieul die freudige Nachricht überbracht hatte und die Armee dabei gleich im Schlepptau gehabt hatte, empfand eine Art ironisches Mitgefühl mit dem Grafen. Doch es gab im Umkreis von hundert Meilen kein vergleichbares Gelände, denn Baudelaire war genau das, was Richard brauchte. Hier gab es reichlich Trinkwasser für seine Männer und genug Gras für die Rinder und Pferde der Armee.
Das Schloss lag am Ufer der Loire, in der Nähe des burgundischen Örtchens Pouilly, das Sir Henry jedes Jahr seinen geliebten goldenen Wein lieferte – und es befand sich vierzig Meilen, also drei Tagesmärsche, von Vézelay entfernt, dem Sammelpunkt für die Regimenter, die sich allmählich für die Reise ins Heilige Land zusammenfanden.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass alles so war, wie es sein sollte, trieb Henry sein Pferd die Rampe hinunter und bog dann nach links ab, wo eine kleine Gruppe grimmiger Männer mit den schwersten Armbrüsten übte. Gerade waren sie damit beschäftigt, die sperrigen Waffen
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