Die Buchmagier: Roman (German Edition)
übernommen hatte, sie nicht öfter einsetzte. Wieso sich mit Vampiren abmühen, wenn man unaufhaltsame mechanische Soldaten zur Verfügung hat?
Ich sah, wie Lena wieder auf uns zuhinkte, und schüttelte den Kopf. »Verschwinde von hier!«
»Nein!« Sie kauerte am Fuß des Stammes eines großen Ahorns nieder und schob die Finger in die Erde. Ein kleines Stück entfernt stießen Wurzeln aus der Erde und wickelten sich um die Füße des Automaten.
Ohne sichtliche Anstrengung riss er sich los und schritt auf sie zu. Fluchend stand sie auf und stellte sich mit dem Rücken an den Baum.
»Hier drüben!«, rief ich, aber er ignorierte mich. Hölzerne Hände griffen nach Lenas Hals.
Ihre Lippen formten ein angespanntes Lächeln. Ihr Blick begegnete meinem, und sie warf mir einen schnellen Handkuss zu. Mit der heilen Hand ergriff sie das Handgelenk des Automaten.
Und dann fielen Lena und der Automat nach hinten in den Baum.
*
Ich konnte mich kaum bewegen, geschweige denn den Baum erreichen, in dem Lena verschwunden war. Wenn mein Körper so sehr schmerzte, obwohl er noch vollgepumpt mit Adrenalin war, wollte ich gar nicht wissen, wie ich mich später fühlen würde.
Ich hatte Narnia zurückgelassen, weil ich seine Magie nicht überstrapazieren wollte. Den Lewis gegen einen Rollenspielbegleitroman einzutauschen – einen, der über eine Ausstattung an Heiltränken verfügte – war mir sinnvoller erschienen. Leider befand sich dieser Roman in einer der hinteren Taschen meiner Jacke, was bedeutete, dass ich mich aufsetzen oder herumwälzen musste, um dranzukommen.
Ich stützte mich mit dem unversehrten Arm ab und drückte mich auf den Ellbogen hoch. Tränen schossen mir in die Augen, und ich fluchte in drei verschiedenen Sprachen, bis der Schmerz so weit nachließ, dass ich mich ganz aufzusetzen vermochte. Bis es mir aber gelang, den Saum meiner Jacke unter mir herauszuziehen, troff mir der Schweiß von der Stirn.
»Na schön!«, keuchte ich. »Von jetzt an kommt das Arzneimittelbuch in die Vorder tasche!«
Ich fuhr mir über die Augen und gab mir alle Mühe, das Summen fiktionaler Geister, die nach dem meinen griffen, auszublenden, als ich die Hand in das Buch schob und einem Halblingdieb einen Heiltrank abnahm. Ich kippte das gesamte Ding runter und schnappte gleich darauf nach Luft, denn meine Schulter renkte sich mit einem Ruck wieder ein.
Das Gebräu war nicht ganz so wirkungsvoll wie Lucys narnianischer Trank, aber den ärgsten Schaden vermochte es schon zu beseitigen. Schnittwunden verblassten zu roten Linien, und Quetschungen taten etwas weniger weh, aber weil ich auf dem Weg nach unten durch Äste gerattert und dann auf meinen Büchern gelandet war, blieb meine Haut ein blauschwarz marmoriertes Chaos. Auch an dem angeschlagenen Zahn fehlte nach wie vor ein Stück.
Mehr Sorgen machte ich mir über innere Verletzungen. Ich drückte auf meinen Unterleib und tastete ihn nach harten oder schmerzenden Stellen ab, fand aber nichts Schlimmeres als Prellungen.
Schwarzes Unkraut zeigte mir an, wo Klecks in den Wald geflohen war. Ich fand ihn auf der Erde in einem Kreis verkohlter Kiefernnadeln kauernd. Ich wartete, bis er auf seinen Stammplatz auf meiner Schulter hochgeklettert war, dann wandte ich mich dem Baum zu, in dem Lena verschwunden war.
Ich presste eine verschwitzte Hand auf den Baum: Die Rinde war unbeschädigt und fühlte sich kühl an. Die Füße der beiden hatten tiefe Löcher ins Erdreich gedrückt. Ich konnte sehen, wo Lena sich für diesen einen letzten Kraftakt abgestützt hatte.
Weshalb war sie dann nicht wieder herausgekommen? Ich verstand Lenas Magie nicht völlig – und die des Automaten eigentlich auch nicht. Vielleicht waren sie beide umgekommen, vielleicht kämpften sie auch noch im Baum weiter gegeneinander. Und falls Lena diesen Kampf verlor, konnte der Automat sich dann den Weg zurück in unsere Welt kratzen?
Ich hob das Gewehr auf und ging zur Hütte. Immer wieder sah ich Lenas Gesicht in dem Moment, bevor sie verschwand: die vom Schmerz hervorgehobenen Linien von Hals und Mund, die vor Entschlossenheit zusammengekniffenen Augen. Wieder und wieder erlebte ich vor meinem geistigen Auge, wie der Automat sie windelweich prügelte: ihr gebrochener Arm, die aus ihr herausbrechenden Schmerzensschreie, die sie so angestrengt zu unterdrücken versuchte.
Bis ich die weggeworfene Ausgabe der Abenteuer des Sherlock Holmes entdeckte, war ich zu angepisst, um noch nachzudenken. Ich hob das
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