Die Bucht der schwarzen Perlen
verging, an dem sie ohne eine kostbare Perle wieder zu ihrer Hütte zurückkehrten. Und wenn bei den Hunderten von Muscheln, die sie von den Bänken pflückten, nur fünf oder sechs eine schwarze Perle enthielten – ein Reichtum lag dort auf dem Meeresgrund, der Ron manchmal den Atem nahm.
Ein wahres Wunder hielt Tama'Olu eines Tages zwischen Daumen und Zeigefinger und streckte es der Sonne entgegen: eine große, völlig runde, glatte Perle, deren Lüster dunkelsilbern glänzte.
»Weißt du, was du da in der Hand hältst?« fragte Ron. Seine Stimme klang etwas heiser vor Erregung. »Das gibt es nur einmal, Liebling, so etwas hat man noch nicht gesehen. Diese einzige Perle bedeutet schon ein Vermögen.«
»Was ist Vermögen, Ovaku?«
»Viel, viel Geld.«
»Was willst du mit Geld?«
»Mit Geld kann man sich alles kaufen. Alles, was man will.«
»Was willst du kaufen? Fehlt etwas?«
Er sah sie an, nahm ihr die Perle aus der Hand und legte sie vorsichtig in den Nylonbeutel.
Ja, was fehlt mir? dachte er. Es läßt sich nur schwer definieren. Ich lebe auf einer glücklichen Insel unter glücklichen Menschen, ich habe die schönste Frau, ich habe zu essen und zu trinken, ich habe eine Hütte und lebe wie in einem Paradies … Was fehlt mir im Grunde genommen?
Elektrisches Licht, ein Radio, ein Funkgerät, vernünftige Kleidung, ein richtiges Bett … Ron, mußt du das alles wirklich haben? Einen Hauch von Zivilisation willst du heranschaffen und weißt genau, daß du damit den Frieden dieser Insel zerstörst und diese glücklichen Menschen veränderst. Wo die Zivilisation hinkommt, erzeugt sie ein Chaos, vernichtet sie die Unschuld der Menschen, läßt sie in Neid und Mißgunst, in Elend und Würdelosigkeit verkommen.
Was ist aus den Azteken und Tolteken, aus den Mayas und Inkas geworden, nachdem man ihnen ihr Land mit Kreuz und Schwert weggenommen hat? Was geschieht noch heute mit den Aboriginals in Australien? Man läßt sie sich zu Tode saufen. Wo sind die Maoris geblieben, was hat man mit den Indianern in Nordamerika gemacht? Was macht man noch heute mit den Indianern Südamerikas? Die grüne Lunge unserer Erde, die Urwälder, werden rücksichtslos gerodet oder niedergebrannt, um die Edelhölzer zu verkaufen oder um neue Felder zu gewinnen. Jagdtrupps ziehen den zerstörenden Kolonnen voraus und erschießen jeden Ureinwohner, der sich ihnen entgegenstellt. Die Großgrundbesitzer werden immer reicher, und die Armen immer rechtloser. Die Welt wird langsam, aber sicher zerstört, und das alles im Namen der Zivilisation und des Fortschritts.
Eines Tages wird man auch Tonu'Ata entdecken und der Insel zum ›Fortschritt‹ verhelfen wollen. Dann wird es keine Erdöfen mehr geben, sondern Mikrogrills, keinen Tanz mehr um Götterbilder, sondern Fernsehen mit Krimileichen, keine fröhlichen Menschen, die in ihrer Nacktheit völlig natürlich sind, sondern die man die sogenannte Moral lehrt und damit die Heuchelei.
Und wenn man die Muschelbänke mit den schwarzen Perlen entdeckt … es wäre das sichere Ende des Dorfes. Umsiedeln würde man das nennen. Und im übrigen – wer fragt denn nach den wenigen Bewohnern hier? Im letzten Krieg gab es rund fünfundfünfzig Millionen Tote … na also!
»Ja, was fehlt mir, Tama?« sagte Ron und blickte an der geliebten Frau vorbei über das Meer. »Das ist eine verfluchte Frage, die sich nur schwer beantworten läßt. Was weißt du denn schon, was da draußen in der Welt, von der du keine Ahnung hast, alles geschieht? Du bist wie ein Käfer, dessen Welt das Gras am Waldrand ist. Ein Käfer weiß nicht, daß es Atomraketen gibt und Laserstrahlen, Bakterienbomben und Giftgas-Granaten. Für ihn ist die größte Gefahr eine menschliche Schuhsohle – wie für euch ein Hurrikan.«
»Ich nix verstehen, Ovaku«, sagte Tama'Olu und sah ihn hilflos an.
»Ein Glück, daß du das alles nicht begreifst. Wenn ich dich sehe und wenn ich dich in die Arme nehme, dann fehlt mir nichts.«
»Nix fehlt?«
»Nein, ich habe alles, um unbeschreiblich glücklich zu sein.«
»Warum dann Geld für Perlen?«
»Mein Liebling, du stellst Fragen, die unter die Haut gehen.«
»Wo du willst Perlen verkaufen?«
»Siehst du, das ist wieder so eine Frage, die mich in Verlegenheit bringt. Ich werde dir das heute abend erklären. Ich will's wenigstens versuchen, Tama. Und glaub mir, ich will nur euer Bestes.«
Das haben sie alle gesagt, dachte er, über sich selbst betroffen. Die spanischen Eroberer und
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