Die Bücher und das Paradies
Freiheit ewigen
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Ruhmes«6 – und wer will nachprüfen, ob der Text des
Psalmisten wirklich auch dies sagen wollte.
Gewiß gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen dem ästhe-
tisch und kritisch versierten Leser zweiten Grades und
demjenigen, der konfrontiert mit Fällen von intertextueller
Ironie sofort die Verweise auf das literarische Universum
erfaßt. Aber die beiden Positionen können nicht einfach
gleichgesetzt werden. Nehmen wir zwei Beispiele.
Bei der Fabel vom Wolf und dem Lamm gibt es zwei
Sinne, (den wörtlichen und den moralischen), und gewiß
auch zwei Leser: den, der nicht nur die Geschichte
verstehen will (wörtlicher Sinn), sondern auch ihre Moral,
und den, der die stilistischen und erzählerischen Meriten
des Fabeldichters Phaedrus erkennt. Aber es liegt keine
intertextuelle Ironie vor, denn Phaedrus zitiert niemanden,
oder wenn er einen älteren Fabeldichter zitiert, kopiert er
ihn bloß. Homers Odysseus tötet die Freier: Hier gibt es
nur einen Sinn, aber noch immer zwei Leser, den, der die
Rache des Odysseus genießt, und den, der die Kunst
Homers genießt, aber kein ironisches Zitat. In Joyces
Ulysses gibt es zwei Sinne im biblisch-danteschen
Verständnis (die Geschichte von Leopold Bloom als
Allegorie der Geschichte von Odysseus), aber es ist
schwer zu übersehen, daß es sich um eine Geschichte
handelt, die den Irrfahrten des Odysseus nachgebildet ist,
und sollte jemand das nicht von allein bemerken, würde
ihm der Titel den Schlüssel liefern. Auch hier sind zwei
Ebenen der Lektüre noch möglich, denn es kann ja
immerhin sein, daß jemand den Ulysses nur liest, um zu 6 Anspielung auf Dantes Brief an Cangrande della Scala ( Epistola XIII ), worin er den vierfachen Sinn der Heiligen Schrift am Beispiel des Anfangs von Psalm 114 erklärt (A. d. Ü.).
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wissen, wie die Geschichte ausgeht, auch wenn eine so
begrenzte und begrenzende Lektüre höchst unwahr-
scheinlich ist – falls wirklich jemand solch einen Aufwand
treiben wollte, müßte man ihm raten, das Experiment nach
dem ersten Kapitel abzubrechen, um sich Geschichten
vorzunehmen, die rascher befriedigen. Unmöglich ist es
jedoch, Finnegans Wake anders denn als ein riesiges
intertextuelles Experimentierfeld zu lesen – es sei denn,
man will sich den Text laut vorlesen, um ihn wie Musik zu
genießen. Sinnschichten gibt es hier einige mehr als die
vier der Heiligen Schrift, ihre Zahl ist unbegrenzt oder
jedenfalls undefiniert. Der Leser ersten Grades verfolgt
eine oder zwei mögliche Lesarten jedes einzelnen
Wortspiels, hält dann erschöpft inne, verliert den Faden,
steigt zur zweiten Ebene auf, um den Scharfsinn einer
unvorhersehbaren und unauflöslichen Verschachtelung
von Etyms und möglichen Lesarten zu bewundern, kehrt
wieder zur ersten Ebene zurück und versucht erneut zu
begreifen, ob im Text etwas geschieht, verliert den Faden
abermals, und so geht es immer weiter. Finnegans Wake
hilft uns nicht, die hier besprochenen Unterscheidungen zu
verstehen, er stellt sie alle in Frage, er bringt alle Karten
durcheinander. Aber das tut er ohne Verstellung, er täuscht
dem naiven Leser nichts vor, indem er ihn vorankommen
läßt, ohne daß er merkt, auf was für ein Spiel er sich
einläßt. Nein, er packt den naiven Leser beim Kragen und
befördert ihn mit einem Fußtritt zur Dienstbotentür hinaus.
Bei der Arbeit an diesen Unterscheidungen wird einem,
denke ich, bewußt, daß die Pluralität der Sinnschichten ein
Phänomen ist, das sich in einem Text auch dann herstellt,
wenn der Autor überhaupt nicht daran gedacht und nicht
das geringste dafür getan hat, eine Lektüre auf mehreren
Ebenen zu ermutigen. Auch der billigste Schreiberling, der
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primitive Geschichten voller Blut, Horror, Sex und Gewalt
erzählt, kann nicht vermeiden, einen moralischen Sinn
mitschwingen zu lassen, sei’s auch nur den, daß
Indifferenz gegenüber dem Bösen oder Verherrlichung
von Sex und Gewalt die einzigen anzustrebenden Werte
seien.
Das gleiche läßt sich auch von den beiden Ebenen der
Lektüre sagen, der semantischen und der ästhetischen.
Genau bedacht gibt es diese Möglichkeit sogar bei einem
Eisenbahnfahrplan. Zwei verschiedene Fahrpläne können
mir auf der semantischen Ebene die gleiche Information
liefern, aber ich kann den einen besser aufgebaut und
leichter benutzbar finden als den anderen, also zu einem
Qualitätsurteil über die Machart und
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