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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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wir uns vor, wir sollten den Don Quijote in der Neufassung von Pierre Menard lesen (und der Text von
    Menard sei mindestens in dem Maße, wie es Borges
    behauptet, anders interpretierbar als der von Cervantes).
    Wer noch nie von Cervantes gehört hat, würde eine alles
    in allem fesselnde Geschichte lesen, eine Reihe von
    heroisch-komischen Abenteuern, deren Reiz das nicht
    gerade moderne Kastilisch, in dem sie geschrieben sind,
    überdauert. Wer dagegen die ständige Bezugnahme auf
    den Text von Cervantes erkennt, wird imstande sein, nicht
    nur die Entsprechungen zwischen diesem und dem Text
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    von Menard zu erfassen, sondern auch die ständige
    unvermeidliche Ironie des letzteren.
    Anders als allgemeinere Fälle von Doppelkodierung lädt
    intertextuelle Ironie, wenn sie mit den Möglichkeiten einer
    doppelten Lektüre spielt, nicht alle Leser zum selben Fest
    ein. Sie trifft eine Auswahl und bevorzugt die intertextuell
    versierten Leser, aber sie schließt die weniger erfahrenen
    nicht aus. Naive Leser werden, wenn der Autor eine
    Person ins Spiel bringt, die plötzlich ausruft: » Paris à
    nous deux! «, den Verweis auf Balzac nicht erkennen und trotzdem imstande sein, sich für eine Person zu begeistern,
    die zu kühner Herausforderung und Draufgängertum neigt.
    Informierte Leser dagegen »picken« die Bezugnahme auf
    und genießen die Ironie – und dabei meine ich nicht nur
    das gebildete Augenzwinkern, das ihnen der Autor
    zuwirft, sondern auch den Banalisierungs- oder Verzer-
    rungseffekt (wenn das Zitat in einem Kontext steht, der
    sich von dem der Quelle kraß unterscheidet) und den
    allgemeinen Verweis auf das ununterbrochene Gespräch,
    das zwischen den verschiedenen Texten geführt wird.
    Wenn wir das Phänomen der intertextuellen Ironie einem
    Studenten im ersten Semester erklären müßten oder
    jedenfalls einem noch unerfahrenen Leser, so müßten wir
    vielleicht sagen, daß ein Text aufgrund dieser Zitat-
    strategie zwei Ebenen der Lektüre präsentiert. Wenn wir
    jedoch statt eines unerfahrenen Lesers einen Kenner der
    Literaturtheorien vor uns hätten, könnten wir durch zwei
    mögliche Fragen in Schwierigkeiten gebracht werden.
    Erste Frage: Aber hat intertextuelle Ironie nicht
    vielleicht damit zu tun, daß man einen Text nicht nur auf
    zwei, sondern sogar auf vier verschiedenen Ebenen lesen
    kann, nämlich der wörtlichen, der moralischen, der
    allegorischen und der anagogischen, wie es die gesamte
    265
    Bibelexegese lehrt und wie es Dante in der Epistola XIII
    für sein eigenes dichterisches Werk beansprucht?
    Zweite Frage: Aber hat intertextuelle Ironie nicht
    vielleicht mit den beiden Modell-Lesern zu tun, von denen
    die Textsemiotiker sprechen, allen voran Eco, nämlich
    erstens dem sogenannten semantischen Leser und zweitens
    dem sogenannten kritischen oder ästhetischen Leser?
    Ich werde versuchen zu zeigen, daß es sich um drei
    ziemlich verschiedene Phänomene handelt. Aber es ist
    keine unnütze Übung, auf diese beiden scheinbar naiven
    Fragen zu antworten, denn wir werden dabei sehen, daß
    wir es hier mit einem nicht leicht entwirrbaren Knoten von
    Verwandtschaftsbeziehungen zu tun haben.
    Nehmen wir die erste Frage, also die Theorie der
    mehrfachen Sinnschichten eines Textes. Man braucht
    nicht an den vierfachen Sinn der Heiligen Schrift zu
    denken, es genügt, den moralischen Sinn der Fabeln zu
    nehmen: Gewiß kann ein naiver Leser die Fabel vom Wolf
    und dem Lamm als den Bericht über einen Streit zwischen
    Tieren auffassen, aber auch wenn der Autor sich nicht
    beeilen würde, ihm zu sagen, de te fabula narratur , wäre es doch sehr schwer, nicht auch einen gleichnishaften Sinn
    zu erkennen, eine allgemeine Lehre, wie sie eben in den
    biblischen Gleichnissen vorliegt.
    Diese gleichzeitige Präsenz eines wörtlichen und eines
    moralischen Sinnes gibt es in der gesamten erzählenden
    Literatur, selbst in der, die sich am wenigsten um die
    Erziehung des Lesers kümmert, wie gewöhnliche Krimis
    aus der Retorte: Selbst aus diesen könnte ein aufmerk-
    samer und sensibler Leser eine Reihe moralischer Lehren
    ziehen – daß Verbrechen sich nicht lohnt, daß am Ende
    alles herauskommt, daß Recht und Gesetz schließlich
    siegen, daß die menschliche Vernunft auch die vertrack-
    testen Rätsel zu lösen vermag.
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    Man könnte sogar sagen, in manchen Werken geht der
    moralische Sinn eine derart feste Einheit mit dem
    wörtlichen ein, daß sie zusammen einen einzigen Sinn
    bilden.

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