Die Bücher und das Paradies
hier jemand eine Anspielung
auf Michel Foucault sehen könnte: Meine Personen sind
besessen von Analogien, und Foucault hat über das
Paradigma der Ähnlichkeit geschrieben. Als empirischer
Autor war ich nicht sehr glücklich über die Möglichkeit
dieser Verbindung, da sie mir eher oberflächlich vorkam.
Aber das von Léon Foucault erfundene Pendel war der
Held meiner Geschichte, und es heißt nun mal so, wie es
heißt, ich konnte den Titel nicht ändern. Also hoffte ich,
daß mein Modell-Leser keine Verbindung mit Michel
herstellen würde. Leider vergeblich, viele Leser haben es
getan. Linda Hutcheon mehr als alle, sie hat sogar
detaillierte Entsprechungen zwischen Elementen des
Romans und den vier Figuren der Ähnlichkeit gefunden,
die Michel Foucault im Kapitel über die Prosa der Welt in
seinem Buch Les mots et les choses beschreibt.8 Müßig zu sagen, daß ich Les mots et les choses 1966 gelesen hatte, als das Original erschienen war, also fast vierzig Jahre
8 Dt. Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der
Humanwissenschaften , übers. von Ulrich Koppen, Suhrkamp 1971, Kap. 2, »Die prosaische Welt«, S. 46 – 56 (A. d. Ü.).
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bevor ich den Roman zu schreiben begann; in der
Zwischenzeit hatte ich Gelegenheit gehabt, die Phantasien
der Ähnlichkeit in der Tradition des Hermetismus der
Renaissance und des Barock kennenzulernen, so daß ich
beim Schreiben an die direkten Quellen dachte, respektive
an den deliranten Gebrauch dieser Quellen in den heutigen
Texten des kommerziellen Okkultismus. Hätte mein
Roman Das Franklinsche Pendel geheißen, wäre
wahrscheinlich niemand darauf gekommen, die Bezug-
nahmen auf die Theorie der Signaturen mit Michel
Foucault in Verbindung zu bringen, und es wäre leichter
gewesen, an Paracelsus zu denken. Aber ich gebe zu, daß
der Titel des Buches, und jedenfalls der Name des
Erfinders des gleichnamigen Pendels, eine zu leckere Spur
für Jäger nach intertextuellen Bezügen darstellte, und
Linda Hutcheon hatte alles Recht, zu finden, was sie
gefunden hat. Und wer weiß, ob sie nicht – zumindest auf
der Ebene einer Psychoanalyse des Autors – insofern recht
hat, als mein Interesse für einige Aspekte des Herme-
tismus durch jene lang zurückliegende Lektüre Foucaults
(Michel) geweckt worden sein könnte.
Dennoch wäre es interessant festzustellen, ob meine
Bezugnahme auf Foucault ein Fall von intertextueller
Ironie oder einfach von nicht bemerktem Einfluß wäre.
Bisher habe ich hier vielleicht glauben lassen, daß
intertextuelle Ironie etwas sei, was von der Intention des
Autors abhängt, doch ich habe in meinen theoretischen
Schriften zu oft den Vorrang der Werkintention vor der
des Autors betont, um mir eine solche Naivität zu
erlauben. Wenn im Text ein mögliches Zitat auftaucht,
und dieses Zitat sich nahtlos in den übrigen Text (mitsamt
seinen anderen Zitaten) einzufügen scheint, sind die
Absichten des empirischen Autors kaum von Belang. Wir
tun also gut daran, hier von Zitatismus und »textlichen
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Echos« zu sprechen (ich beziehe mich auf einen Ausdruck
von Linda Hutcheon, nicht auf meinen Nachnamen), die
das Werk nahelegt.
Dies deswegen, weil es beim Spiel mit intertextueller
Ironie schwer ist, der Faszination des Herstellens von
Verbindungen zu widerstehen, auch wenn manche von
ihnen ganz zufällig sind, wie der Verweis auf die Uhren
bei Jules Verne. So findet Linda Hutcheon auf S. 378 der
amerikanischen Ausgabe des Foucaultschen Pendels die
Worte: »The Rule is simple: Suspect, only suspect«, und
entdeckt darin einen intertextuellen Verweis auf ein
»Connect, only connect« bei E. M. Forster. Klug, wie sie
ist, weist sie darauf hin, daß dieses »ironic play« sich nur
im Englischen einstellt, und tatsächlich enthält der italie-
nische Text diesen intertextu ellen Verweis nicht, denn er
lautet: »sospettare, sospettare sempre«.9 Die Bezugnahme
ist, sicher mit voller Absicht, vom Übersetzer William
Weaver eingefügt worden. Dagegen ist nichts zu sagen,
der englische Text enthält die Bezugnahme – was zeigt,
daß die Übersetzung das Spiel der intertextuellen Ironie
nicht nur verderben, sondern auch bereichern kann.
In anderen Fällen ergeben sich Möglichkeiten der Wahl
zwischen Lektüre hoch zwei oder hoch drei. Auf einer
Seite im 30. Kapitel des Pendels , wo die Protagonisten sich vorstellen, daß auch die ganze Geschichte, die in den
Evangelien erzählt wird, Ergebnis
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