Die Bücher und das Paradies
Handlungen
dargestellt wird.
Einer der Pioniere dieser Richtung (die nicht ver-
schwieg, wieviel sie Aristoteles verdankte) war Kenneth
Burke mit seiner Grammatik, seiner Rhetorik und seiner
Symbolik der Motive, in denen Philosophie und Literatur
16 George Lakoff und Mark Johnson, Leben in Metaphern:
Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern , Heidelberg, Carl-Auer-Systeme, 1999; siehe auch George Lakoff, Women, Fire, and Dangerous Things , Chicago, Univ. of Chicago Press, 1987.
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und Sprache in »dramatischer« Form analysiert wurden
durch das kombinierte Spiel des Aktes, der Szene, des
Agenten, des Instrume nts und des Vorhabens.
Zu schweigen von Algirdas Greimas, der gar nicht
versucht zu verbergen, daß dem semantischen Verstehen
eine Theorie der Narrativität vorausgeht – ich denke an
jene Case Grammar , die auf einer semantischen Struktur in den Begriffen von Agent , Counter-Agent , Goal , Instrument etc. arbeitet (Fillmore, Bierwisch17), und an viele Modelle, die in der Frames Theory und in der
Künstlichen Intelligenz benutzt werden. Dominique
Noguez hat kürzlich einen hübschen Jux (in dem ich der
Held und das Opfer bin) über die Semiologie des
Regenschirms veröffentlicht. Er wußte nicht, daß hier die
Realität wieder einmal die Fiktion übertraf, denn eines der
in der KI-Wissenschaft benutzten Modelle ist das von
Charniak18, der, um einem Computer zu erklären, wie
Sätze zu verstehen sind, in denen das Wort Regenschirm
vorkommt, eine narrative Beschreibung all dessen gibt,
was mit einem Regenschirm gemacht wird, wie man ihn
handhabt, wie er konstruiert ist und wozu er dient. Der
Begriff Regenschirm löst sich in ein Netz von Handlungen
auf.
Aristoteles war nicht dazu gelangt, seine Theorie des
Handelns mit jener der Definition zu verschmelzen, denn
17 Charles Fillmore, »The Case for Case«, in E. Bach et al . (eds.), Universals in Linguistic Theory , New York, Holt, 1968; Manfred Bierwisch, »On Classifying Semantic Features«, in
D. D. Steinberg und L. A. Jakobovits (eds.), Semantics , London, Cambridge Univ. Press, 1971.
18 Eugene Charniak, »A Partial Taxonomy of Knowledge about
Actions«, Institute for Semantic and Cognitive Studies,
Castagnola, Working Paper 13, 1975.
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als Gefangener seiner eigenen Kategorien glaubte er, es
gebe Substanzen vor jedem Handeln, die das Handeln
erlaubten oder erlitten. Es bedurfte erst der Krise des
Begriffs der Substanz, um eine Semantik wieder-
zuentdecken, die nicht in seinen Werken der Logik,
sondern in denen der Ethik, der Poetik und der Rhetorik
enthalten ist, und den Gedanken zu fassen, daß sogar die
Definition der Essenzen in Begriffen von unterliegenden
Handlungen artikuliert werden kann.
Dennoch hätte Aristoteles eine Anregung aufgreifen
können, die Platon im Kratylos gibt. Bekanntlich wird dort der Mythos vom Nomotheten oder »Namensgeber«
eingeführt, eine Art Adam der griechischen Philosophie.
Doch das Problem war schon vor Platon, ob die vom
Nomotheten gegebenen Namen auf bloßer Übereinkunft
( Nomos ) beruhten oder durch die Natur der Dinge ( Physis ) motiviert waren. Zu welcher der beiden Lösungen
Sokrates (und mit ihm Platon) neigte, ist eine Frage, die
unzählige Kommentare zum Kratylos produziert hat und
immer noch produziert. In jedem Fall spricht Platon
immer dann, wenn er die Theorie vom motivierten
Ursprung zu befolgen scheint, von Fällen, in denen die
Wörter nicht die Sache als solche darstellen, sondern als
Quelle oder Ergebnis einer Handlung. Die eigenartige
Diskrepanz zwischen Nominativ und Genitiv von Zeus/
Dios erkläre sich dadurch, daß der ursprüngliche Name
eine Handlung ausdrückte, di’ hoòn zen , »durch welchen das Leben gespendet wird«. In gleicher Weise lasse sich
anthropos zurückführen auf die Wortfügung »der zu
bedenken vermag, was er gesehen hat«, insofern der
Unterschied zwischen Mensch und Tier darin liege, daß
der Mensch sich nicht mit bloßer Wahrnehmung begnüge,
sondern überlege und über das Wahrgenommene
nachdenke. Wir sind versucht, Platons Etymologie ernst
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zu nehmen, wenn wir uns daran erinnern, daß Thomas von
Aquin bei seiner Erörterung der klassischen Definition des
Menschen als »animal mortale et rationale« die Ansicht
vertrat, daß differentiae specificae wie »rational« (die den Menschen von allen anderen Tierarten unterscheiden)
keine unteilbaren Akzidentien seien, sondern Namen, die
wir aufgrund
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