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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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großen Linien die Geschichte von drei
    Generationen Italienern skizzieren, die sich aus unter-
    schiedlichen historischen und politischen Gründen als
    irgendwie antiamerikanisch betrachteten oder hätten
    betrachten müssen; und die sich auf unterschiedliche
    Weise, allein oder sogar zur Unterstützung ihrer anti-
    amerikanischen Ideologie, einen Mythos Amerika auf-
    gebaut haben.
    Der erste Held meiner Geschichte zeichnete seine
    Artikel in den dreißiger Jahren mit dem Namen Tito Silvio
    Mursino. Ein Anagramm von Vittorio Mussolini, dem
    Sohn des Duce. Er gehörte zu einer Gruppe junger Löwen,
    die fasziniert waren vom Kino, vom Kino als Kunst, als
    Industrie und als Lebensform. Vittorio begnügte sich nicht
    damit, der Sohn des Duce zu sein; das hätte genügt, ihm
    die Gunst vieler Schauspielerinnen zu sichern, doch er
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    wollte mehr: Er wollte Pionier der Amerikanisierung des
    italienischen Kinos sein.
    In seiner Zeitschrift Cinema kritisierte er die europäische Tradition des Kinos und behauptete, das italienische
    Publikum identifiziere sich gefühlsmäßig nur mit den
    Archetypen des amerikanischen Kinos. Er sprach vom
    Kino mit einer gewissen Unschuld als von einem star
    System , ohne sich um ästhetische Fragen zu kümmern. Er liebte und bewunderte Mary Pickford und Tom Mix, so
    wie sein Vater Julius Caesar und Trajan bewunderte. Die
    amerikanischen Filme waren für ihn die Literatur des
    Volkes. Und wie Oreste Del Buono im Almanacco
    Bompiani 1980 schreibt, in gewisser Weise wiederholte Vittorio, sicher unbewußt und mit anderen Zielen,
    Gramscis Theorie einer »national-populären Kunst«, nur
    daß er die Wurzeln des National-Populären im Raum
    zwischen Sunset Boulevard und Malibu suchte.
    Vittorio war kein Intellektueller und auch kein großer
    Geschäftsmann. Seme Reise nach Amerika, die er antrat,
    um eine Brücke zwischen den beiden Filmindustrien zu
    schlagen, endete in einem Fiasko: politische Fehltritte,
    Sabotage durch die italienischen Behörden (der Vater
    beobachtete die Unternehmung sehr mißtrauisch), iro-
    nische Kommentare in der amerikanischen Presse. Al
    Roach pflaumte ihn an, er sei doch alles in allem ein
    braver Junge, warum ändere er nicht seinen Namen?
    Aber schauen wir uns einmal an, was für Thesen Vittorio
    Mussolini vertrat:
    Ist es etwa ketzerisch zu behaupten, daß Geist, Mentalität und Temperament der italienischen Jugend, wenn auch mit den
    logischen und natürlichen Unterschieden, die bei einer anderen Rasse unumgänglich sind, denen der transatlantischen Jugend viel näher stehen als denen der russischen, deutschen, französischen und spanischen? Im übrigen hebt das amerikanische Publikum die Filme mit großen Horizonten, spürt die wahren Probleme, ist
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    angezogen von dem kindlichen, aber glücklichen Gefühl des
    Abenteuers, und wenn ihm diese Jugend gegeben ist, weil es keine Jahrhunderte voller Geschichte und Kultur, philosophischer
    Systeme und Gesetze hat, so steht sie derjenigen unserer selbst-bewußten Generation gewiß viel näher als denen vieler Länder
    Europas.
    Das war 1936. Und dieses Bild von Amerika blieb gültig
    bis 1942, als die Amerikaner offiziell Feinde wurden.
    Aber auch in der heftigsten Kriegspropaganda waren die
    verhaßtesten Feinde die Engländer, nicht die Amerikaner.
    Der Rundfunk-Hetzredner Mario Appelius prägte den
    Slogan Dio stramaledica gli Inglesi (was nicht nur heißt
    »Gott verfluche die Engländer«, sondern mindestens
    soviel wie »G. verfluche die E. in alle Ewigkeit«), aber ich
    erinnere mich nicht an einen ebenso wüsten und
    weitverbreiteten Slogan gegen die Amerikaner. Im übrigen
    war die Stimmung im Volk gewiß nicht antiamerikanisch.
    Vielleicht aber finden wir das interessanteste Anzeichen
    dieser verbreiteten Stimmung in den Texten der jungen
    faschistischen Intelligenzia, die für die Zeitschrift Primato schrieb. Primato erschien von 1940 bis 1943, geleitet von einer der widersprüchlichsten Figuren des faschistischen
    Regimes, Giuseppe Bottai. Liberalfaschist und Antisemit,
    anglophil und von den deutschen Verbündeten voller
    Argwohn beobachtet, Autor einer Schulreform, die sich
    unter anderem auf John Dewey berief, Förderer der
    Avantgarde und Feind des bombastischen Klassizismus
    der offiziellen faschistischen Kunst, aristokratischer
    Verfechter der Ungleichheit unter den Menschen und Geg-
    ner der Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg, suchte
    Bottai die Elite der jungen Kultur der Epoche um

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