Die Bücher und das Paradies
von Handlungen und Verhaltensweisen
geben, an denen wir erkennen, daß einem bestimmten Tier
die anders nicht wahrnehmbare Vernunft innewohnt. Die
menschliche Vernunft wird sozusagen abgeleitet aus
Symptomen wie dem Sprechen und dem Vermögen,
Gedanken zu äußern. Wir erkennen unsere Fähigkeiten
»ex ipsorum actuum qualitate«, durch die Qualität der
Handlungen, deren Ursprung und Grund sie sind.19
Einem Beispiel von Peirce zufolge20 definiert sich das
Mineral Lithium nicht nur durch seine Position im
periodischen System der Elemente oder durch seine
Atomzahl, sondern auch durch die Beschreibung der
Operationen, die vollführt werden müssen, um eine Probe
von ihm zu gewinnen. Hätte der Nomothet das Lithium
gekannt und benannt, hätte er also einen Ausdruck
erfunden, der wie eine Art Haken eine ganze Reihe von
Erzählungen über Handlungssequenzen zusammenfassen
und bündeln könnte. Nach demselben Muster hätte er
beispielsweise Tiger nicht als Verkörperungen der
Tigerheit gesehen, sondern als Tiere mit der Fähigkeit, in
Interaktion mit anderen Tieren und in einer bestimmten
Umgebung bestimmte Verhaltensweisen zu entwickeln –
und der ganze Vorgang wäre nicht von seinem Prota-
gonisten zu trennen gewesen.
19 Thomas von Aquin, Summa Th. , I. 79.8; Contra gentiles , 4.46.
20 Charles S. Peirce, Collected Papers , 2.330.
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Mit diesen Überlegungen habe ich mich vielleicht etwas
weit von Aristoteles entfernt, aber ich bin immer auf der
Spur seiner Anregungen über das Handeln geblieben.
Im übrigen geht es ja in diesem Kongreß um die
zeitgenössischen Strategien zur Aneignung der Antike, und jeder Akt einer Aneignung impliziert eine gewisse
Dosis Gewalt. So wie Kant meiner Meinung nach die
interessantesten Dinge über unsere Erkenntnisprozesse
nicht in der Kritik der reinen Vernunft gesagt hat (wo er von Erkenntnis spricht), sondern in der Kritik der
Urteilskraft (wo er von Kunst zu sprechen scheint) –
könnte nicht ebenso eine moderne Erkenntnistheorie bei
Aristoteles nicht (nur) in den beiden Analytiken zu finden sein, sondern auch in der Poetik und in der Rhetorik?
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Der Mythos Amerika in drei
Generationen Antiamerikanismus1
Folgendes stand in der Unità vom 3. August 1947, bei Anbruch des Kalten Krieges. Die Unità war das offizielle Organ der Kommunistischen Partei Italiens, damals also
stark daran interessiert, die Tugenden und Triumphe der
Sowjetunion zu feiern und die Laster der amerikanischen
Kapitalismusgesellschaft zu geißeln:
Um 1930, als der Faschismus begann, »die Hoffnung der Welt«
zu werden, entdeckten einige junge Italiener plötzlich in ihren Büchern Amerika, ein nachdenkliches und barbarisches, glückliches und rauflustiges, zerrissenes und fruchtbares Amerika,
schwer beladen mit der ganzen Vergangenheit der Welt und
zugleich jung, unschuldig. Einige Jahre lang lasen, übersetzten und schrieben diese jungen Leute mit einer Entdecker- und Aufrührer-freude, die die offizielle Kultur empörte, aber der Erfolg war so groß, daß das Regime sich zur Duldung gezwungen sah, um das
Gesicht zu wahren … Die Begegnung mit Caldwell, Steinbeck,
Saroyan und sogar mit dem alten Lewis öffnete vielen Lesern den ersten Spalt zur Freiheit, den ersten Verdacht, daß nicht alles in der Kultur der Welt bei den Liktorenbündeln endete … An diesem
Punkt wurde die amerikanische Kultur für uns etwas sehr Ernstes und Kostbares, sie wurde zu einer Art von großem Laboratorium, in dem man mit anderer Freiheit und anderen Mitteln dasselbe Ziel der Schaffung eines Geschmacks, eines Stils, einer modernen Welt verfolgte, das, vielleicht mit weniger Unmittelbarkeit, aber mit 1 Beitrag zu dem Kongreß »Das Bild Amerikas in Italien und das Bild Italiens in Amerika« an der Columbia University, New York, im Januar 1980. Daß dieser Vortrag ursprünglich an ein amerikanisches Publikum gerichtet war, erklärt die Fülle an Informationen und Präzisierungen über Sachverhalte und Personen, die
italienischen Lesern bekannt sind.
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ebensoviel hartnäckigem Willen, die Besten unter uns ver-
folgten … Während dieser Jahre des Studiums ging uns auf, daß
Amerika nicht ein anderes Land, ein neuer Anfang der Geschichte war, sondern nur die gigantische Bühne, auf der freimütiger als anderswo das Drama aller Menschen gespielt wurde … Partei
ergreifen im Drama, in der Fabel, in der Problemstellung konnten wir nicht offen, und daher studierten wir die
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