Die Bücher und das Paradies
Literatur und in einer neuen Sprache aus und erfand das Kino.
Was das amerikanische Kino ist, spüren viele mit jener
Ambivalenz aus Sympathie und Verdruß, die als einer unserer
unausrottbaren Europäerkomplexe beschrieben, aber vielleicht von niemandem mit der nötigen Entschiedenheit herausgestellt worden 318
ist. Jetzt, da eine erzwungene Abstinenz uns geheilt hat von den Exzessen der Publizität und vom Überdruß der Gewohnheit, kann
man vielleicht die Bedeutung jener Erziehungsphase rekapitulieren und im amerikanischen Kino die größte Botschaft erkennen, die
unsere Generation empfangen hat.
Pintor hatte nichts mit der aristokratischen Kritik der
Massenmedien im Sinn, die dann typisch für die
europäische Linke der Nachkriegszeit wurde. Aus heutiger
Sicht könnten wir sagen, er stand Benjamin näher als
Adorno.
Das Kino wurde mithin als eine revolutionäre Waffe
gesehen, die alle politischen Grenzen niederreißt. Aber
auch auf der ästhetischen Ebene lehre das amerikanische
Kino, schreibt Pintor weiter, die Welt mit neuen, unschul-
digen Augen zu sehen. Es habe Baudelaires Gelübde
erfüllt, zu zeigen, »wie jung und schön wir sind mit
unseren Lackschuhen und unseren bürgerlichen Kra-
watten«. Während Deutschland die »Rhetorik der Inaktua-
lität« perpetuiere, habe Amerika keine Friedhöfe zu
bewahren, seine Mission sei die Zerstörung der Idole, und
die Utopie eines neuen Menschen, bisher nur eine Formel
in der marxistischen Ideologie, könne sich überall reali-
sieren, wo der Mensch lerne, sich nicht dem Mystizismus
und der Nostalgie zu ergeben, in Amerika wie in Rußland.
In unseren Worten über Amerika mag vieles naiv und ungenau
sein, und vieles mag sich auf Themen beziehen, die dem
historischen Phänomen USA und seinen aktuellen Formen ganz
fremd sind. Aber das spielt keine Rolle, denn auch wenn der Kontinent nicht existierte, würden unsere Worte nicht ihren Sinn verlieren. Dieses Amerika braucht keinen Kolumbus, es ist in uns entdeckt, es ist das Land, nach dem man mit der gleichen Hoffnung und Zuversicht strebt, wie sie die ersten Emigranten hatten und wie sie jeder hat, der entschlossen ist, um den Preis von Mühen und Irrtümern die Würde der Conditio humana zu verteidigen.
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Mit dem Bild dieses universalen Amerikas im Herzen
schloß Giaime Pintor sich den britischen Truppen in
Neapel an und starb beim Versuch, die deutschen Linien
zu durchbrechen, um den Partisanenkampf in Latium zu
organisieren.2 Woher kam dieses Bild Amerikas? Giaime
Pintor und Vittorio Mussolini antworten uns von zwei
entgegengesetzten Seiten der Barrikade, daß der Mythos
durchs Kino gekommen sei. Aber auch die Literatur,
zumal die erzählende, war ein Element der Verbreitung
und Inspiration gewesen. Und am Ursprung dieser
Verbreitung finden wir zwei Schriftsteller, Elio Vittorini
und Cesare Pavese. Beide aufgewachsen im faschistischen
Klima, hatte Vittorini sich auf das Abenteuer mit Primato
eingelassen, während Pavese schon seit 1935 nach
Kalabrien verbannt worden war. Beide fasziniert vom
Mythos Amerika, wurden sie beide später Kommunisten.
Vittorini arbeitete mit dem Verleger Bompiani
zusammen, der schon in den dreißiger Jahren begonnen
hatte, Steinbeck, Caldwell, Cain und andere amerikanische
Autoren zu publizieren, ständig behindert vom faschi-
stischen »Ministero della Cultura Popolare«, dem sog.
Minculpop, wie eine Reihe offizieller Briefe bezeugt
(Meisterwerke unfreiwilligen Humors), in denen das eine
oder andere Buch verboten oder mit Beschlagnahme
bedroht wird, weil es eine unheroische Sicht des Lebens
2 Am 1. Dezember 1943 bei Castelnuovo al Volturno (Molise).
Wenige Tage vor seinem Tod schrieb Giaime Pintor an seinen
jüngeren Bruder Luigi einen Brief, der während der deutschen
Besetzung Roms im Widerstand vervielfältigt und verbreitet wurde und seither als wichtiges Manifest der Resistenza gilt; vgl. dazu die Anmerkungen zu dem autobiographischen Essay von Luigi
Pintor, Servabo , dt. von Petra Kaiser und Michael Becker, Berlin, Wagenbach, 1992, S. 107 – 111 (A. d. Ü.).
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zum Ausdruck bringe oder Personen niederer Rasse vor-
führe oder in einer zu rohen Sprache Gebräuche schildere,
die nicht dem Ideal liktonscher und römischer Moralität
entsprächen. Auch Pavese arbeitete als Übersetzer, aber
gleichsam im Untergrund, denn er bekam keine reguläre
Erlaubnis, da er als Antifaschist abgestempelt war.
1941 stellte
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