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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Literatur und in einer neuen Sprache aus und erfand das Kino.
    Was das amerikanische Kino ist, spüren viele mit jener
    Ambivalenz aus Sympathie und Verdruß, die als einer unserer
    unausrottbaren Europäerkomplexe beschrieben, aber vielleicht von niemandem mit der nötigen Entschiedenheit herausgestellt worden 318
    ist. Jetzt, da eine erzwungene Abstinenz uns geheilt hat von den Exzessen der Publizität und vom Überdruß der Gewohnheit, kann
    man vielleicht die Bedeutung jener Erziehungsphase rekapitulieren und im amerikanischen Kino die größte Botschaft erkennen, die
    unsere Generation empfangen hat.
    Pintor hatte nichts mit der aristokratischen Kritik der
    Massenmedien im Sinn, die dann typisch für die
    europäische Linke der Nachkriegszeit wurde. Aus heutiger
    Sicht könnten wir sagen, er stand Benjamin näher als
    Adorno.
    Das Kino wurde mithin als eine revolutionäre Waffe
    gesehen, die alle politischen Grenzen niederreißt. Aber
    auch auf der ästhetischen Ebene lehre das amerikanische
    Kino, schreibt Pintor weiter, die Welt mit neuen, unschul-
    digen Augen zu sehen. Es habe Baudelaires Gelübde
    erfüllt, zu zeigen, »wie jung und schön wir sind mit
    unseren Lackschuhen und unseren bürgerlichen Kra-
    watten«. Während Deutschland die »Rhetorik der Inaktua-
    lität« perpetuiere, habe Amerika keine Friedhöfe zu
    bewahren, seine Mission sei die Zerstörung der Idole, und
    die Utopie eines neuen Menschen, bisher nur eine Formel
    in der marxistischen Ideologie, könne sich überall reali-
    sieren, wo der Mensch lerne, sich nicht dem Mystizismus
    und der Nostalgie zu ergeben, in Amerika wie in Rußland.
    In unseren Worten über Amerika mag vieles naiv und ungenau
    sein, und vieles mag sich auf Themen beziehen, die dem
    historischen Phänomen USA und seinen aktuellen Formen ganz
    fremd sind. Aber das spielt keine Rolle, denn auch wenn der Kontinent nicht existierte, würden unsere Worte nicht ihren Sinn verlieren. Dieses Amerika braucht keinen Kolumbus, es ist in uns entdeckt, es ist das Land, nach dem man mit der gleichen Hoffnung und Zuversicht strebt, wie sie die ersten Emigranten hatten und wie sie jeder hat, der entschlossen ist, um den Preis von Mühen und Irrtümern die Würde der Conditio humana zu verteidigen.
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    Mit dem Bild dieses universalen Amerikas im Herzen
    schloß Giaime Pintor sich den britischen Truppen in
    Neapel an und starb beim Versuch, die deutschen Linien
    zu durchbrechen, um den Partisanenkampf in Latium zu
    organisieren.2 Woher kam dieses Bild Amerikas? Giaime
    Pintor und Vittorio Mussolini antworten uns von zwei
    entgegengesetzten Seiten der Barrikade, daß der Mythos
    durchs Kino gekommen sei. Aber auch die Literatur,
    zumal die erzählende, war ein Element der Verbreitung
    und Inspiration gewesen. Und am Ursprung dieser
    Verbreitung finden wir zwei Schriftsteller, Elio Vittorini
    und Cesare Pavese. Beide aufgewachsen im faschistischen
    Klima, hatte Vittorini sich auf das Abenteuer mit Primato
    eingelassen, während Pavese schon seit 1935 nach
    Kalabrien verbannt worden war. Beide fasziniert vom
    Mythos Amerika, wurden sie beide später Kommunisten.
    Vittorini arbeitete mit dem Verleger Bompiani
    zusammen, der schon in den dreißiger Jahren begonnen
    hatte, Steinbeck, Caldwell, Cain und andere amerikanische
    Autoren zu publizieren, ständig behindert vom faschi-
    stischen »Ministero della Cultura Popolare«, dem sog.
    Minculpop, wie eine Reihe offizieller Briefe bezeugt
    (Meisterwerke unfreiwilligen Humors), in denen das eine
    oder andere Buch verboten oder mit Beschlagnahme
    bedroht wird, weil es eine unheroische Sicht des Lebens

    2 Am 1. Dezember 1943 bei Castelnuovo al Volturno (Molise).
    Wenige Tage vor seinem Tod schrieb Giaime Pintor an seinen
    jüngeren Bruder Luigi einen Brief, der während der deutschen
    Besetzung Roms im Widerstand vervielfältigt und verbreitet wurde und seither als wichtiges Manifest der Resistenza gilt; vgl. dazu die Anmerkungen zu dem autobiographischen Essay von Luigi
    Pintor, Servabo , dt. von Petra Kaiser und Michael Becker, Berlin, Wagenbach, 1992, S. 107 – 111 (A. d. Ü.).
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    zum Ausdruck bringe oder Personen niederer Rasse vor-
    führe oder in einer zu rohen Sprache Gebräuche schildere,
    die nicht dem Ideal liktonscher und römischer Moralität
    entsprächen. Auch Pavese arbeitete als Übersetzer, aber
    gleichsam im Untergrund, denn er bekam keine reguläre
    Erlaubnis, da er als Antifaschist abgestempelt war.
    1941 stellte

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