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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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sich in Amerika gegen die Sprache der herrschenden
    Klasse durchgesetzt, und die amerikanische Literatur habe
    das Englische zu einer neuen Volkssprache verwandelt.
    Dazu paßt, daß Pavese zur Übersetzung einiger Stellen
    von Faulkner auf den piemontesischen Dialekt zurück-
    gegriffen hatte. Eine seiner Ideen war, daß es eine
    Affinität zwischen dem amerikanischen Mittelwesten und
    Piemont gebe. Ein weiteres Mal also Gramscis Idee des
    »National-Populären«, nur wird diesmal die Sprache nicht
    im Arno gewaschen, sondern im Mississippi.
    (Sprechen wir hier nicht von simpler Pidginisierung,
    sondern besser von Kreolisierung.)
    323
    So kämpfte die Generation, die Pavese und Vittorini
    gelesen hatte, im Partisanenkrieg, oft in den kommuni-
    stischen Brigaden, feierte die Oktoberrevolution und die
    charismatische Figur von »Väterchen Stalin« und blickte
    zugleich fasziniert und obsessiv auf ein Amerika als Inbild
    und Inbegriff von Hoffnung, Erneuerung, Fortschritt und
    Revolution.
    Vittorini und Pavese waren bei Kriegsende reife
    Erwachsene, fast vierzigjährig. Die zweite Generation
    meines Freskos umfaßte dagegen Jugendliche, die in den
    zwanziger Jahren geboren waren. Viele von ihnen
    erreichten die Volljährigkeit am Ende des Krieges als
    Marxisten.
    Ihr Marxismus war nicht der von Vittorini und Pavese,
    der vollkommen identisch mit dem Befreiungskampf und
    dem Abscheu vor den faschistischen Diktaturen war, mehr
    ein Gefühl allgemeiner Brüderlichkeit als eine bestimmte
    Ideologie. Für die zweite Generation war der Marxismus
    eine Praxis der politischen Organisation und des
    philosophischen Engagements. Ihr Ideal war die
    Sowjetunion, ihre Ästhetik der sozialistische Realismus,
    ihr Mythos die Arbeiterklasse. Politisch in Gegnerschaft
    zu Amerika als ökonomisch-politischem System, sympa-
    thisierte sie mit verschiedenen Aspekten der ameri-
    kanischen Sozialgeschichte, mit dem »wahren Amerika«,
    unter dem sie das der Pioniere und der ersten anarchischen
    Opposition verstand, das »sozialistische« Amerika eines
    Jack London und eines John Dos Passos.
    Gerade deshalb hat die offizielle marxistische Kultur
    sogar in den schärfsten Zeiten des Kampfes gegen
    McCarthy dem Geist der Americana nie völlig abge-
    schworen, auch nicht als Vittorini die KPI aufgrund
    ideologischer Meinungsverschiedenheiten mit ihrem Chef
    Togliatti verließ.
    324
    Gleichwohl ist das, was uns hier interessiert, eine andere
    Seite dieser zweiten Generation, die sowohl innerhalb wie
    außerhalb der beiden marxistischen Parteien jener Zeit –

    der kommunistischen und der sozialistischen
    – leben
    konnte und deren Definition so vage und ungenau klingen
    würde, daß ich mich gezwungen sehe, eine narrative
    Willkürentscheidung zu treffen. Ich setze mir eine fiktive
    Person zusammen, die ich Roberto nennen will. Unter den
    Angehörigen der Klasse, als deren Vertreter er sich
    versteht, mag es neunzigprozentige Robertos und zehn-
    prozentige Robertos gegeben haben. Meiner wird ein
    hundertprozentiger Roberto sein. Vielleicht gab es unter
    den Mitgliedern des Zentralkomitees der KPI nicht viele
    Robertos; aber mein Roberto lebte eher im außer-
    parteilichen Gelände der kulturellen Aktivitäten, der Ver-
    lage, Kinematheken, Zeitungen, Konzerte, und gerade in
    diesem Sinne war er kulturell sehr einflußreich.
    Geboren sein könnte Roberto zwischen 1926 und 1931.
    Aufgewachsen im Faschismus, war sein erster Akt der
    Revolte (natürlich unbewußt) die Lektüre der aus dem
    Amerikanischen (schlecht) übersetzten Comic strips. Flash
    Gordon gegen Ming war für ihn das erste Bild des
    Kampfes gegen die Tyrannei. Der Mann mit der Maske
    war zwar ein Kolonialist, aber statt den Eingeborenen im
    bengalischen Dschungel westliche Modelle aufzuzwingen,
    suchte er die ebenso weisen wie uralten Traditionen der
    Bandar zu bewahren. Topolino (wie bei uns Mickey
    Mouse heißt) als Journalist, der sich mit korrupten
    Politikastern herumschlägt, um das Überleben seiner
    Zeitung zu sichern, war für Roberto die erste Lektion über
    Pressefreiheit. 1942 verbot Mussolinis Regierung die
    Sprechblasenstreifen, und wenige Monate später unter-
    drückte sie auch die amerikanischen Protagonisten:
    Topolino wurde durch Toffolino ersetzt, der keine Maus
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    mehr war, sondern ein Mensch, auf daß die Reinheit der
    Rasse erhalten bliebe. Man fing an, die alten Hefte
    heimlich zu sammeln. Ein sanfter und weher Protest.
    1939 war der Ringo in Stagecoach

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