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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Vernunft gleich. Für die Griechen war das Grie-
    chische die Sprache schlechthin. Alle anderen Menschen 112
    waren Barbaren, das heißt Leute, die unverständliches
    Zeug stammelten.
    Der Fall des Römischen Reiches markierte den Anfang
    einer Periode sprachlicher und politischer Teilung. Das
    Latein verwilderte. Die Barbaren mit ihren Sprachen und
    Gebräuchen strömten herein. Die Hälfte der römischen
    Besitzungen ging an die Griechen des Ostreichs. In Teilen
    Europas und im ganzen Mittelmeerraum begann man
    Arabisch zu sprechen. An der Schwelle des neuen
    Jahrtausends bildeten sich jene Nationalsprachen, die wir
    noch heute auf diesem Kontinent sprechen.
    Genau in diesem historischen Augenblick begann nun
    die christliche Kultur, die biblische Geschichte von der
    Sprachverwirrung nach dem Fall des Turms zu Babel neu
    zu lesen. Erst in diesen Jahrhunderten fing man an, von
    der Wiederentdeckung oder Neuerfindung einer vor-
    babelschen Sprache zu träumen, einer gemeinsamen
    Sprache der ganzen Menschheit, die fähig sein müßte, das
    Wesen der Dinge durch eine Art von angeborener Homo-
    logie zwischen Dingen und Worten auszudrücken. Die so
    bestimmte Suche nach einem universalen Kommuni-
    kationssystem ist seither und bis heute in verschiedenen
    Formen betrieben worden
    – manche haben versucht,
    zeitlich zurückzugehen, um die Sprache wiederzufinden,
    die Adam mit Gott gesprochen hat, andere sind vorwärts
    gegangen im Versuch, eine Sprache der Vernunft zu
    konstruieren, ausgestattet mit jener verlorenen Vollkom-
    menheit, die Adams Sprache gehabt haben mußte. Man hat
    versucht, Vicos Ideal zu folgen und eine allen Völkern
    gemeinsame Sprache des Geistes zu finden. Internationale
    sogenannte »Welthilfssprachen« wie das Esperanto wur-
    den erfunden, und man arbeitet noch an der Konstruktion
    einer language of mind , die Menschen und Computern
    gemeinsam sein soll …
    113
    Gleichwohl hat es im Laufe dieser Suche auch Fälle
    gegeben, in denen jemand behauptete, die einzige wahr-
    haft vollkommene Sprache sei die von ihm und seinen
    Landsleuten gesprochene. So hat Georg Philipp Hars-
    dörffer im 17. Jahrhundert behauptet, Adam habe nicht
    anders als deutsch sprechen können, da nur im Deutschen
    die Wörter das Wesen der Dinge vollendet zum Ausdruck
    brächten (später sollte Heidegger sagen, man könne nur
    auf deutsch philosophieren – und sonst allenfalls noch auf
    griechisch). Für Antoine de Rivarol ( Discours sur
    l’universalité de la langue française , 1784) war das
    Französische die einzige Sprache, in der die syntaktische
    Struktur der Sätze die authentische Struktur der mensch-
    lichen Vernunft widerspiegele, und darum sei es die
    einzige logische Sprache der Welt (das Deutsche sei zu
    kehlig, das Italienische zu süß, das Spanische zu redun-
    dant, das Englische zu dunkel).
    Bekanntlich ist Joyce in diesem College zu einem
    Verehrer Dantes geworden und dann sein Leben lang auch
    geblieben. Zwar bezieht er sich, wenn er von Dante
    spricht, immer nur auf die Divina Commedia , aber es gibt gute Gründe zu glauben, daß er auch eine gewisse
    Vertrautheit mit Dantes Ideen über die Ursprünge der
    Sprache hatte sowie mit seinem Projekt, eine neue, in sich
    vollkommene poetische Sprache zu erschaffen, wie Dante
    selbst es in seiner Abhandlung De vulgari eloquentia
    ausgedrückt hat. Auf jeden Fall muß Joyce in der
    Commedia deutliche Hinweise auf dieses Thema und im
    26. Gesang des Paradiso auch eine neue Version der alten Debatte über das Thema der adamitischen Sprache
    gefunden haben.
    Die Schrift De vulgari eloquentia ist zwischen 1303 und 1305 verfaßt worden, also vor der Commedia . Obwohl sie 114
    wie eine gelehrte Abhandlung daherkommt, ist sie in
    Wirklichkeit ein Selbstkommentar, in dem der Autor
    tendenziell seine Methoden der künstlerischen Produktion
    analysiert, die er unausgesprochen mit dem Modell jedes
    poetischen Diskurses gleichsetzt.
    Nach Dante hatte es vor der Pluralität der Volks-
    sprachen, also vor der Sünde von Babel, eine voll-
    kommene Sprache gegeben, in welcher Adam mit Gott
    gesprochen hatte und in der auch Adams Nachkommen
    miteinander sprachen. Nach der babylonischen Ver-
    wirrung hatten sich die Sprachen vervielfacht, zuerst in
    den verschiedenen Teilen der Welt, dann innerhalb jener
    Zone, die wir heute die Romania nennen, durch Aufteilung
    in eine Sprache des sì , eine Sprache des oc und eine Sprache des oïl . Die Sprache des sì , das Italienische,

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