Die Bücher und das Paradies
ist dann ihrerseits in eine Vielzahl von Dialekten zerfallen,
die mitunter sogar von einem Stadtteil zum anderen
variieren. Dieses Zerbrechen habe seinen Grund darin, so
Dante, daß der Mensch ein instabiles Wesen sei,
veränderlich in seinen Gebräuchen, Gewohnheiten und
Sprechweisen, in der Zeit wie im Raum. Gerade um diese
langsamen, aber unaufhaltsamen Veränderungen in der
natürlichen Sprache zu kompensieren, hätten die Erfinder
der Grammatik nach einer unveränderlichen Sprache
gesucht, die sich in Raum und Zeit gleichbleibt, und diese
Sprache sei das Latein gewesen, wie es in den Uni-
versitäten des Mittelalters gesprochen wurde. Aber Dante
war auf der Suche nach einer italienischen Volkssprache,
und dank seiner dichterischen Bildung und seiner
Kontakte als umherreisender Exilant lernte er sowohl die
verschiedenen italienischen Dialekte als auch die ver-
schiedenen europäischen Volkssprachen kennen. In seiner
Schrift De vulgari eloquentia geht es darum, eine
würdigere und edlere Sprache zu finden, und daher macht
115
er zunächst eine strenge kritische Analyse der italie-
nischen Dialekte. Da die besten Dichter sich, jeder auf
seine Weise, von ihren regionalen Dialekten entfernt
hätten, böte sich die Möglichkeit, einen »edlen Dialekt« zu
finden, ein volgare illustre , das würdig genug wäre, im Königspalast eines nationalen Reiches gesprochen zu
werden, wenn denn die Italiener je eines hätten. Es müßte
sich um einen Dialekt handeln, der allen italienischen
Städten gemeinsam wäre und keiner im besonderen
gehörte, eine Art ideales Modell, dem sich die besten
Dichter annäherten und an dem alle bestehenden Dialekte
zu messen sein würden.
Im Gegensatz zur Verwirrung der verschiedenen
Sprachen scheint Dante also eine poetische Sprache
ähnlich der Sprache Adams vorzuschlagen, eine, die jener
poetischen Sprache entspricht, als deren Begründer er sich
nicht ohne Stolz betrachtet. Diese vollkommene Sprache,
der Dante nachjagt wie einer »duftenden Pantherkatze«,
taucht da und dort in den Werken jener Dichter auf, die
Dante als die größten betrachtet, wenn auch noch eher
ungeformt, noch nicht mit festen Regeln versehen und
noch nicht mit klaren grammatischen Grundsätzen aus-
gestattet.
In dieser Lage, angesichts der Existenz von Dialekten,
die natürlich, aber nicht universal sind, sowie der
lateinischen Grammatik, die universal, aber künstlich ist,
jagt Dante seinem Traum einer Wiederherstellung jener
paradiesischen Sprache nach, die gleichzeitig natürlich
und universal war. Doch anders als jene, die später
versuchen werden, das Hebräisch der paradiesischen
Ursprünge wiederzufinden, will Dante die ursprüngliche
Lage mit einem Akt moderner Erfindung neu schaffen.
Das volgare illustre , für das seine eigene poetische
Sprache ein Beispiel sein sollte, ist die Art und Weise, wie
116
der »moderne« Dichter die Wunde nach Babel heilen
wird.
Aus dieser kühnen Konzeption seiner eigenen Rolle als
Restaurator einer vollkommenen Sprache erklärt sich,
warum Dante in De vulgari eloquentia , anstatt die Vielfalt der Sprachen zu beklagen, ihre gleichsam biologische
Kraft hervorhebt, ihre Fähigkeit, sich im Laufe der Zeit zu erneuern. Gerade aufgrund dieser sprachlichen Kreativität
kann er sich vornehmen, eine perfekte moderne und
natürliche Sprache zu konzipieren und zu erfinden, ohne
sich auf verlorene Vorbilder zu beziehen. Wenn Dante
geglaubt hätte, daß die ursprüngliche Sprache mit dem
Hebräischen identisch sei, hätte er ohne Zweifel be-
schlossen, Hebräisch zu lernen und seine Dichtung in der
Sprache der Bibel zu schreiben. Doch eine solche
Möglichkeit hat er nie in Erwägung gezogen, da er sicher
war, durch eine Perfektionierung der verschiedenen
italienischen Dialekte jene universale Sprache finden zu
können, für welche die hebräische Sprache nur die
ehrwürdigste Inkarnation gewesen war.
Viele der arroganten Behauptungen des jungen Joyce
scheinen auf dieselbe Aufgabe anzuspielen: auf eine
Wiederherstellung der Bedingungen einer vollkommenen
Sprache durch die eigene dichterische Erfindung, auf das
Ziel, »das ungeschaffne Gewissen meines Volkes zu
schmieden«, das heißt eine Sprache zu formen, die nicht
willkürlich wie die gewöhnliche Sprache, sondern
notwendig und motiviert ist. In diesem Sinne hatte der
junge bachelor Dantes Idee vollständig und auf mysteriöse Weise verstanden und ist ihr sein
Weitere Kostenlose Bücher