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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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ist dann ihrerseits in eine Vielzahl von Dialekten zerfallen,
    die mitunter sogar von einem Stadtteil zum anderen
    variieren. Dieses Zerbrechen habe seinen Grund darin, so
    Dante, daß der Mensch ein instabiles Wesen sei,
    veränderlich in seinen Gebräuchen, Gewohnheiten und
    Sprechweisen, in der Zeit wie im Raum. Gerade um diese
    langsamen, aber unaufhaltsamen Veränderungen in der
    natürlichen Sprache zu kompensieren, hätten die Erfinder
    der Grammatik nach einer unveränderlichen Sprache
    gesucht, die sich in Raum und Zeit gleichbleibt, und diese
    Sprache sei das Latein gewesen, wie es in den Uni-
    versitäten des Mittelalters gesprochen wurde. Aber Dante
    war auf der Suche nach einer italienischen Volkssprache,
    und dank seiner dichterischen Bildung und seiner
    Kontakte als umherreisender Exilant lernte er sowohl die
    verschiedenen italienischen Dialekte als auch die ver-
    schiedenen europäischen Volkssprachen kennen. In seiner
    Schrift De vulgari eloquentia geht es darum, eine
    würdigere und edlere Sprache zu finden, und daher macht
    115
    er zunächst eine strenge kritische Analyse der italie-
    nischen Dialekte. Da die besten Dichter sich, jeder auf
    seine Weise, von ihren regionalen Dialekten entfernt
    hätten, böte sich die Möglichkeit, einen »edlen Dialekt« zu
    finden, ein volgare illustre , das würdig genug wäre, im Königspalast eines nationalen Reiches gesprochen zu
    werden, wenn denn die Italiener je eines hätten. Es müßte
    sich um einen Dialekt handeln, der allen italienischen
    Städten gemeinsam wäre und keiner im besonderen
    gehörte, eine Art ideales Modell, dem sich die besten
    Dichter annäherten und an dem alle bestehenden Dialekte
    zu messen sein würden.
    Im Gegensatz zur Verwirrung der verschiedenen
    Sprachen scheint Dante also eine poetische Sprache
    ähnlich der Sprache Adams vorzuschlagen, eine, die jener
    poetischen Sprache entspricht, als deren Begründer er sich
    nicht ohne Stolz betrachtet. Diese vollkommene Sprache,
    der Dante nachjagt wie einer »duftenden Pantherkatze«,
    taucht da und dort in den Werken jener Dichter auf, die
    Dante als die größten betrachtet, wenn auch noch eher
    ungeformt, noch nicht mit festen Regeln versehen und
    noch nicht mit klaren grammatischen Grundsätzen aus-
    gestattet.
    In dieser Lage, angesichts der Existenz von Dialekten,
    die natürlich, aber nicht universal sind, sowie der
    lateinischen Grammatik, die universal, aber künstlich ist,
    jagt Dante seinem Traum einer Wiederherstellung jener
    paradiesischen Sprache nach, die gleichzeitig natürlich
    und universal war. Doch anders als jene, die später
    versuchen werden, das Hebräisch der paradiesischen
    Ursprünge wiederzufinden, will Dante die ursprüngliche
    Lage mit einem Akt moderner Erfindung neu schaffen.
    Das volgare illustre , für das seine eigene poetische
    Sprache ein Beispiel sein sollte, ist die Art und Weise, wie
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    der »moderne« Dichter die Wunde nach Babel heilen
    wird.
    Aus dieser kühnen Konzeption seiner eigenen Rolle als
    Restaurator einer vollkommenen Sprache erklärt sich,
    warum Dante in De vulgari eloquentia , anstatt die Vielfalt der Sprachen zu beklagen, ihre gleichsam biologische
    Kraft hervorhebt, ihre Fähigkeit, sich im Laufe der Zeit zu erneuern. Gerade aufgrund dieser sprachlichen Kreativität
    kann er sich vornehmen, eine perfekte moderne und
    natürliche Sprache zu konzipieren und zu erfinden, ohne
    sich auf verlorene Vorbilder zu beziehen. Wenn Dante
    geglaubt hätte, daß die ursprüngliche Sprache mit dem
    Hebräischen identisch sei, hätte er ohne Zweifel be-
    schlossen, Hebräisch zu lernen und seine Dichtung in der
    Sprache der Bibel zu schreiben. Doch eine solche
    Möglichkeit hat er nie in Erwägung gezogen, da er sicher
    war, durch eine Perfektionierung der verschiedenen
    italienischen Dialekte jene universale Sprache finden zu
    können, für welche die hebräische Sprache nur die
    ehrwürdigste Inkarnation gewesen war.
    Viele der arroganten Behauptungen des jungen Joyce
    scheinen auf dieselbe Aufgabe anzuspielen: auf eine
    Wiederherstellung der Bedingungen einer vollkommenen
    Sprache durch die eigene dichterische Erfindung, auf das
    Ziel, »das ungeschaffne Gewissen meines Volkes zu
    schmieden«, das heißt eine Sprache zu formen, die nicht
    willkürlich wie die gewöhnliche Sprache, sondern
    notwendig und motiviert ist. In diesem Sinne hatte der
    junge bachelor Dantes Idee vollständig und auf mysteriöse Weise verstanden und ist ihr sein

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