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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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regelmäßigen langen Abständen
    wie aus einer gewaltigen Höhe, mit einer vollkommenen
    Sicht und einer engelhaften Unparteilichkeit, mit der Sicht
    dessen, der offenen Auges in die Sonne schauen kann«,
    und im Portrait wird es heißen, der Künstler bleibe »wie der Gott der Schöpfung … in oder hinter oder jenseits oder
    über dem Werk seiner Hände, unsichtbar, verfeinert bis
    zum Verschwinden, gleichgültig, nur damit beschäftigt,
    sich die Nägel zu maniküren.«
    In dem Vortrag James Clarence Mangan , den er am
    15. Februar 1902 wiederum vor der Literary and Historical
    Society hielt und dann in der Mai-Nummer des St.
    Stephen’s Magazine veröffentlichte, lesen wir: »Schönheit, der Glanz der Wahrheit, ist eine Gnadenerscheinung
    [ gracious presence ], wenn die Imagination gesammelt und angespannt die Wirklichkeit ihres eigenen Seins oder die
    sichtbare Welt betrachtet, und der Geist, der aus Wahrheit
    und Schönheit hervorgeht, ist der heilige Geist der Freude.
    Das sind Realitäten, und sie allein geben und erhalten das
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    Leben.« Hier haben wir ohne Zweifel den ersten Keim des
    Begriffs der Epiphame, wie er in späteren Schriften
    entwickelt werden wird.
    In The study of languages , einem Aufsatz aus dem ersten Studienjahr (1898 – 99), finden wir eine eindrucksvolle
    These, die der Struktur des Ulysses zugrunde liegt: Der junge Autor spricht von einer Sprache der Kunst und sagt,
    sie erhebe sich »über die Härte, die für platte, nicht
    gehobene Aussagen hinreicht, durch den zusätzlichen
    Einfluß dessen, was schön ist an ergreifenden Formu-
    lierungen, am Aufschwellen von Worten, an Sturzbächen
    von Schmähungen, an Tropen und Abwandlungen und
    Figuren, wobei jedoch selbst in Augenblicken höchster
    Emotion eine naturgegebene Symmetrie bewahrt bleibt.«
    Aus demselben Text können wir sogar ein fernes Echo
    von Finnegans Wake und der künftigen Vico-Lektüre
    heraushören, wenn Joyce schreibt: »In der Geschichte der
    Wörter ist vieles enthalten, was auf die Geschichte der
    Menschen verweist, und wenn wir die heutige Sprache mit
    derjenigen vor vielen Jahren vergleichen, haben wir eine
    brauchbare Illustration dafür, wie sich äußere Einflüsse bis
    in die Wörter eines Volkes hinein auswirken.«
    Auch Joyces grundlegende Obsession, die Suche nach
    einer Wahrheit der Kunst durch das Manövrieren mit allen
    Sprachen der Welt, zeigt sich in einem anderen Abschnitt
    dieses frühen Aufsatzes, wenn Jim noch im ersten
    Studienjahr schreibt: »Die höheren Ränge der Sprache,
    Stil, Syntax, Poesie, Beredsamkeit und Rhetorik sind
    wiederum, in welcher Weise auch immer, die Vorreiter
    und Vertreter der Wahrheit.«
    Wenn es wahr ist, daß jeder Autor sein ganzes Leben
    lang eine einzige keimhafte Idee entwickelt, dann scheint
    das für Joyce besonders zu gelten: Noch nicht bachelor , wußte er bereits genau, was er tun mußte, und hat es hier
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    in diesen Mauern ausgesprochen, wenn auch nur beiläufig
    und eher naiv. Oder, wenn Sie so lieber wollen: Er hatte
    beschlossen, aus seinem reifen Alter das zu machen, was
    vorauszusehen ihm während des Studiums in diesen Aulen
    gelungen war.
    In seinem ersten Studienjahr hatte er über die
    Repräsentation der Wissenschaften in Santa Maria Novella
    nachgedacht und war zu dem Schluß gekommen, die
    Grammatik müsse »die primäre Wissenschaft« sein. Also
    widmete er einen großen Teil seines Lebens der Erfindung
    einer neuen Grammatik, und die Suche nach Wahrheit
    wurde für ihn zur Suche nach einer vollkommenen
    Sprache.
    In diesem Jahr, in dem Dublin als Kulturhauptstadt
    Europas gefeiert wird, ist es angebracht, über die Tatsache
    nachzudenken, daß die Suche nach einer vollkommenen
    Sprache ein typisch europäisches Phänomen war und
    weiterhin bleiben wird. Europa hat sich aus einem
    einzigen Kern von Sprachen und Kulturen entwickelt (aus
    der griechisch-römischen Welt) und ist dann in
    verschiedene Nationen mit verschiedenen Sprachen
    auseinandergefallen. Die alte Welt hatte sich weder um
    das Problem einer vollkommenen Sprache noch um das
    der Sprachenvielfalt gekümmert. Die hellenistische koiné
    und später das Latein der Kaiserzeit gewährleisteten ein
    zufriedenstellendes universelles Kommunikationssystem
    vom Mittelmeerraum bis zu den Britischen Inseln. Die
    beiden Völker, welche die Sprache der Philosophie und
    die Sprache der Gesetze erfunden hatten, setzten die
    Strukturen ihrer Sprache mit den Strukturen der mensch-
    lichen

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