Die Bücher und das Paradies
Leben lang auf den
Fersen geblieben.
Allerdings bestand Dantes Projekt, wie jedes andere
Projekt einer vollkommenen Sprache, darin, eine Sprache
zu finden oder zu schaffen, die der Menschheit erlauben
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sollte, dem nachbabylonischen Labyrinth zu entkommen.
Man kann, wie es Dante getan hat, die Pluralität der
Sprachen positiv sehen, aber eine vollkommene Sprache
müßte klar und evident sein, nicht labyrinthisch. Im
Gegensatz dazu scheint Joyces Projekt, je weiter er sich
von seiner ersten thomistischen Ästhetik entfernt und der
in Finnegans Wake ausgedrückten Sicht der Welt
annähert, darin zu bestehen, das Chaos nach Babel nicht
durch dessen Ablehnung zu überwinden, sondern indem er
es als die einzige Möglichkeit anerkennt. Joyce hat
niemals versucht, sich vor oder hinter dem Turm von
Babel anzusiedeln, er hat in ihm leben wollen – und man kann sich fragen, ob die Entscheidung, den Ulysses auf der Spitze eines Turms beginnen zu lassen, nicht eine
unbewußte Vorwegnahme seines Endziels ist, nämlich
einen polyglutturalen und multilingualen Schmelztiegel zu erzeugen, der nicht das Ende, sondern den Triumph der
babylonischen Sprachverwirrung darstellt.
Was könnte der ferne Ursprung einer solchen Ent-
scheidung gewesen sein?
In der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts war in Irland
eine Abhandlung über Grammatik erschienen, die den
Titel Auraicept na n-Éces (»Fibel der Gelehrten«) trug. Ihr Grundgedanke war, daß man, um das Modell der
lateinischen Grammatik ans Irische anzupassen, die
Struktur des Turms zu Babel nachahmen müsse: So wie es
acht oder neun (je nach den Versionen des Textes)
Wortarten gebe, nämlich Nomen, Pronomen, Verb,
Adverb und so weiter, so seien beim Bau des Turms acht
oder neun Grundmaterialien verwendet worden: Wasser,
Blut, Ton, Holz und so weiter. Warum diese Parallele?
Weil die zweiundsiebzig Gelehrten der Schule von Fenius
Farrsaid, die zehn Jahre nach dem Chaos von Babel die
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erste Sprache entworfen hatten (und es versteht sich von
selbst, daß diese Sprache das Gälische war), ein Idiom zu
konstruieren versuchten, das wie die ursprüngliche
Sprache nicht nur dem Wesen der Dinge homolog sein,
sondern auch imstande sein sollte, das Wesen aller
anderen nach Babel entstandenen Sprachen zu berück-
sichtigen. Inspiriert war dieses Vorhaben von Jesaja 66,18:
»Ich werde kommen, um alle Völker und alle Zungen zu
versammeln.« Die benutzte Methode bestand darin, aus
jeder Sprache das Beste auszuwählen, indem man die
anderen Sprachen sozusagen zerlegte und die Bruchstücke
zu einer neuen, nun vollkommenen Struktur zusammen-
fügte. Man ist versucht zu sagen, mit diesem Vorgehen
seien die zweiundsiebzig Gelehrten wahre Künstler
gewesen, denn wie Joyce erklärt: »der Künstler, der die
feingesponnene Seele des Bildes aus dem Netzwerk der
sie bestimmenden Zusammenhänge am exaktesten heraus-
lösen und sie in künstlerischen Zusammenhängen wieder-
verkörpern konnte, die als die für sie in ihrem neuen Amt
exaktesten gewählt waren, der war der höchste Künstler«
[ Stephen der Held , dt. v. Klaus Reichert, S. 82]. Zerlegen, segmentieren – heute ein Grundbegriff in der Analyse von
Sprachsystemen – war für jene Gelehrten so wichtig, daß
(wie ich meiner Quelle entnehme2) das Wort teipe ,
»segmentieren«, also auswählen, modellieren, automatisch
die irische Sprache als berla teipide bezeichnete. Infolgedessen wurde das Auraicept in seiner Eigenschaft als der 2 Diego Poli, »La metafora di Babele e le partitiones nella teoria grammaticale irlandese dell’Auraicept na n-Éces« , in Diego Poli (ed.), Episteme. Quaderni Linguistid e Filologici , IV, 1986 – 89, Università di Macerata, Istituto di Glottologia e Linguistica
Generale.
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Text, der dieses Ereignis definierte, als eine Allegorie der
Welt betrachtet.
Interessanterweise ist nun eine ganz ähnliche Theorie
von einem Quasi-Zeitgenossen Dantes vertreten worden,
nämlich dem großen Kabbalisten Abraham Abulafia im
12.
Jahrhundert. Ihm zufolge hatte Gott dem ersten
Menschen nicht eine spezifische Sprache gegeben,
sondern eine Art Methode, eine universale Grammatik, die
zwar in der Katastrophe von Babel verlorengegangen ist,
aber im Volk der Hebräer überlebt hat, welches sie so gut
zu nutzen verstand, daß es mit ihr die hebräische Sprache
erschuf, die vollkommenste der siebzig nachbabelschen
Sprachen.
Doch das Hebräische, von dem Abulafia
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