Die Bücher und das Paradies
der
symbolischen Formen den Begriff verwendet, nichts mit
dem zu tun, was wir darunter verstehen. Bei Cassirer
handelt es sich um eine kulturtheoretische Version des
Kantischen Transzendentalismus, und eine symbolische
Form ist sogar die euklidische Geometrie, in der wir das
Gefühl des Unendlichen und des Unentscheidbaren nur
längs der Flucht jener Parallelen verspüren, die uns das
euklidische Parallelenaxiom in einer alethiologisch
unentscheidbaren Weise verspricht.
Wir könnten uns an eine vernünftige Entscheidung
halten, die im übrigen zu einer Vielzahl von Alltags-
erfahrungen paßt: Das Symbol ist gleichsetzbar mit der
Existenz zweiter Bedeutungsschichten, die es in jeder
Sprache gibt. Dies ist der Weg, den Todorov in seinem
Buch über das Symbol gewählt hat. Aber wenn wir das
Symbol mit jeder Instanz einer zweiten Bedeutung
identifizieren, geraten wir in Gefahr, einige voneinander
sehr verschiedene Phänomene zu verwechseln.
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So gibt es zwei Bedeutungsschichten in der doppel-
sinnigen Rede, deren klassisches Beispiel das Rätsel ist.
Aber strukturiert sind diese beiden Schichten, oft auf der
Basis verräterischer Homonymien, nach zwei klar defi-
nierbaren und zweifelsfrei aufspürbaren Isotopien. Der
Doppelsinn muß wie eine kodierte Nachricht dechiffriert
werden, aber wenn das einmal geschehen ist, hat man
unbestreitbar und ohne Vorbehalt zwei Bedeutungen.
Nicht zur Ordnung des Symbolischen gehört die Meta-
pher. Sie kann für vielerlei Interpretationen offen sein, sie
kann sich sozusagen auf der Linie der zweiten oder dritten
Isotopie, die sie erzeugt, fortsetzen. Aber es gibt Regeln
für ihre Interpretation: Wenn Dante von unserem Planeten
sagt, er sei »das Beet, das uns so wild macht«4, kann das
tausend poetische Folgerungen nahelegen, aber es wird
niemanden überzeugen, wenn es von allen geteilte
kulturelle Konventionen gibt, nach welchen die Erde ein
Ort des Friedens und Wohlgefallens ist. Im übrigen gehöre
ich noch immer zu denen, die das erste Signal für
metaphorischen Gebrauch in der Tatsache sehen, daß der
metaphorische Ausdruck, wenn man ihn wörtlich nimmt,
entweder falsch oder bizarr oder sinnlos klingt (die Erde
ist kein Beet). Anders verhält es sich meines Erachtens
beim symbolischen Modus, der, wie wir sehen werden,
sein Sinnpotential gerade hinter dem täuschenden
Anschein einer unerklärbaren Offensichtlichkeit verbirgt.
Erst recht nicht zur Ordnung des Symbolischen gehört
die Allegorie, ein erweiterter Doppelsinn, der sich nicht
auf Homonymie gründet, sondern auf eine fast heraldische
Kodifizierung bestimmter Bilder.
4 l’aiuola che ci fa tanto feroci: Par. XXII, 151 (A. d. Ü.).
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Die moderne westliche Tradition ist inzwischen
gewohnt, zwischen Allegorie und Symbolik zu unter-
scheiden, aber diese Unterscheidung ist relativ späten
Datums, sie hat sich erst seit der Romantik durchgesetzt,
in jedem Fall mit den berühmten Aphorismen von Goethe
( Maximen und Reflexionen ):
Die Allegorie verwandelt die Erscheinung in einen Begriff, den Begriff in ein Bild, doch so, daß der Begriff im Bilde immer noch begrenzt und vollständig zu halten und zu haben und an demselben auszusprechen sei (749).
Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in
ein Bild, und so, daß die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Sprachen
ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe (759).
Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen
das Besondere sucht oder im Besondern das Allgemeine schaut.
Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als
Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie; sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät (279).
Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das
Allgemeinere repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen
(314).
In Antike und Mittelalter wurden dagegen »Symbol«
und »Allegorie« als Synonyme verstanden. Die Beispiele
reichen von Philon von Alexandria bis zu Grammatikern
wie Demetrios, von Clemens von Alexandria bis zu
Hippolytos von Rom, von Porphyrios bis zum Pseudo-
Dionysius Areopagita, von Plotin bis Jamblichos, bei
denen
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