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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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seine
    Riten und seine Realität. Wenn man es liest, erfaßt einen
    eine leichte (und nicht nur leichte) Unruhe. Wir Menschen
    bestehen aus Knochen, Fleisch und Blut. Das Blut ist
    wichtig. Aber heutzutage studiert man es nur in den
    Laboratorien, und wir haben keine direkte Beziehung zu
    unserem Blut. Wenn wir uns mit einem Messer schneiden,
    stillen wir das Blut mit einem Wattebausch und mit einem
    Pflaster. Wenn wir von einem Chirurgen operiert werden
    und das Blut fließt, sind wir narkotisiert. Wenn auf der
    Straße ein Unfall passiert, rufen wir die Polizei und die
    Ambulanz, aber wir bemühen uns, nicht das Blut zu sehen.
    Das war nicht immer so, wie Camporesi uns zeigt, in
    früheren Jahrhunderten war Blut eine alltägliche Realität,
    die Leute kannten seinen Geruch und seine Zähflüssigkeit.
    Stehen wir dem Blut wirklich so fremd gegenüber? Sind
    wir wirklich so weit entfernt von jenen Jahrhunderten, von
    denen uns Camporesi erzählt? Warum gibt es dann immer
    noch und gerade heute so viele satanische Sekten, so viele
    Blutkulte, die sogar im Internet für sich werben?
    Haben wir das Problem unserer Beziehungen zum Blut
    gelöst? Sicher, wir ergötzen uns nicht mehr an
    öffentlichen Vierteilungen, bei denen das Blut in Strömen
    fließt. Aber während ich dies schreibe, berichten die
    italienischen Zeitungen von einer Madonna, die Bluttränen
    weint. Aberglauben, gewiß, aber ist es nicht auch
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    Aberglauben bei jenen vielen charismatischen Sekten, die
    ihre Gläubigen zu einem Blutbad treiben? Welches
    Verhältnis besteht zwischen den Bluttränen weinenden
    Madonnen und dem Blutdurst, der das Massaker an
    Sharon Tate beherrscht hat?
    Darum geht es: Camporesi rekonstruiert Gebräuche,
    Gefühle, Arten des Schrecken s und der Liebe, die wir für uralt hielten, und fordert uns auf, in uns hineinzuschauen .
    Um die dunkle Beziehung zwischen den Mythen und
    Riten der Vergangenheit und unseren heutigen Trieben zu
    verstehen. Um den uralten Menschen zu entdecken, der in
    uns steckt, in uns, die wir das Internet benutzen und
    meinen, Blut interessiere nur die Chirurgen und die
    Erforscher der neuen planetarischen Pestilenzen.
    Vielleicht muß Camporesi in kleinen Dosen gelesen
    werden, weil wir uns sonst alle fragen würden: Wer sind
    wir bloß, wir zivilisierten Menschen?
    Dieses Buch ist kurz. Lesen wir Camporesi in homöo-
    pathischen Dosen. Für den Augenblick reicht das. Aber
    dann wollen wir vielleicht auch seine anderen Bücher
    lesen.2

    2 In deutscher Übersetzung sind von Piero Camporesi drei Titel erschienen (von denen keiner mehr lieferbar ist): Das Brot der Träume: Hunger und Halluzinationen im vorindustriellen Europa; Frankfurt/M., Campus 1990; Geheimnisse der Venus: Aphro-disiaka vergangener Zeiten , ebenda, 1991; Bauern, Priester, Possenreißer: Volkskultur und Kultur der Eliten im Mittelalter und in der frühen Neuzeit , ebenda, 1994 (A. d. Ü.).
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    Über das Symbol1
    Ich weiß schon, beim Thema des Symbols wird alles, was
    immer ich dazu sage, durch einen hochgelehrten Artikel
    meines Freundes Briosi widerlegt werden. Außerdem habe
    ich diesem Thema schon einige Schriften gewidmet,
    namentlich einen Artikel in der Enciclopedia Einaudi , der jetzt ein Kapitel meines Buches Semiotik und Philosophie
    der Sprache 2 geworden ist. Sei’s aufgrund von Ver-
    greisung, sei’s aufgrund der Fortdauer einer jugendlichen
    Hybris – ich denke nicht, daß ich meine Ansichten über
    dieses Thema geändert habe. Sich ständig weiter-
    zuentwickeln ist eine empfehlenswerte Praxis, an die ich
    mich häufig halte, manchmal bis an die Grenzen der
    Schizophrenie. Aber es gibt Fälle, in denen man nicht
    demonstrieren muß, daß man seine Ansichten geändert
    hat, bloß um zu zeigen, daß man auf der Höhe der Zeit ist.
    Auch im Bereich der Ideen ist Monogamie nicht immer
    ein Zeichen für fehlende Libido.
    Um nicht zu wiederholen, was ich andernorts über das
    Symbol gesagt habe, mochte ich hier einen besonderen
    und sehr aktuellen Aspekt dieser vexata quaestio
    behandeln, nämlich das Phänomen der Symbol-Paranoia.
    Zu diesem Zweck muß ich jedoch auf einen Teil des schon

    1 Hauptreferat auf dem Kongreß über das Symbol 1994 in Siena
    (veröffentlicht in der Sondernummer »Simbolo«, ed. Sandro
    Briosi, der Zeitschrift L’immagine riflessa , NS, IV, 1, S. 35 – 53).
    Ich widme diesen Text Sandro Briosi, der damals noch unter uns weilte.
    2 Dt. München, Fink, 1985, S. 193 – 241 (A. d.

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