Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
Ü.).
    179
    Gesagten zurückgreifen, und so erscheint die Paralipse am
    Ende hypertroph.
    Symbol ist ein Wort, bei dem ich meinen Studenten
    immer empfehle, es sehr sparsam zu verwenden und es zu
    unterstreichen, wo sie es finden, um dann nach dem
    Kontext zu entscheiden, welche Bedeutung es jeweils
    annimmt. Tatsächlich weiß ich nicht mehr so recht, was
    ein Symbol ist. Ich habe versucht, den symbolischen
    Modus als eine besondere Textstrategie zu definieren.
    Doch außerhalb dieser Textstrategie – auf die ich später zu
    sprechen komme – kann ein Symbol entweder etwas sehr
    Klares sein (ein eindeutiger Ausdruck mit definierbarem
    Inhalt) oder etwas sehr Dunkles (ein vieldeutiger Aus-
    druck, der eine Nebelwolke von Inhalten evoziert).
    Diese Ambiguität hat alte Wurzeln, sie ist nicht nur
    durch die Etymologie von symbállein gerechtfertigt,
    sondern auch durch die Praxis selbst, die zu dieser
    Etymologie geführt hat.3 Denn von jenen beiden
    aufeinander verweisenden Teilen kann man ja sagen, daß
    sie sich ohne Ambiguität wieder zu einem Ganzen
    vereinigen werden, sobald sie jemand erfolgreich wieder
    zusammenfügt, sie also dem Fluß der Semiose entzieht,
    um sie wieder Ding unter anderen Dingen werden zu
    lassen; dennoch ist das, was an jedem der beiden
    getrennten Teile fasziniert, gerade die Abwesenheit des

    3 Der erwähnte Artikel in der Enciclopedia Einaudi beginnt mit den Worten: »Etymologisch gesprochen kommt symbolon von
    symbállein , zusammenwerfen, etwas mit etwas anderem
    zusammentreffen lassen: Ein Symbol war ursprünglich ein
    Erkennungsmerkmal, das aus zwei Hälften einer Münze oder
    Medaille bestand. Zwei Teile derselben Sache, jedes für das andere stehend, jedoch erst voll wirksam, wenn sie zusammenpaßten, um wieder das ursprüngliche Ganze auszumachen.« (A. d. Ü.)
    180
    anderen, und nur in und angesichts der Abwesenheit
    florieren die unbezähmbarsten Leidenschaften.
    Aber verlassen wir die Etymologie. Der erste Skandal,
    vor dem wir stehen, ist die Tatsache, daß in bestimmten
    Kontexten, meist in naturwissenschaftlichen, der Aus-
    druck Symbol benutzt wird, um völlig klare und unumkehrbare Semioseprozesse zu bezeichnen, Objekte, die
    alles andere als mehrdeutig sind und ganz im Gegenteil
    danach streben, so eindeutig wie irgend möglich gelesen
    zu werden. Man denke nur an das chemische Symbol oder
    an bestimmte Verwendungen des Symbolbegriffs zur
    Bezeichnung der Konventionalität des sprachlichen oder
    grammatikalischen Zeichens, im Gegensatz zur fluktuie-
    renden Offenheit des Ikons.
    Man könnte behaupten, daß auch die logischen Symbole
    etwas von der Offenheit dessen haben, was wir seit der
    Romantik als symbolisch im dunklen und vieldeutigen
    Sinne des Wortes verstehen. Denn sie repräsentieren ja
    Variablen, und als solche müßten sie bereit sein, sich mit
    den unvorhergesehensten Inhalten füllen zu lassen.
    Denken wir beispielsweise an eine Formel der symbo-
    lischen Logik wie »Wenn p , dann q «. Man sollte denken, daß p und q mit jedem beliebigen Inhalt gefüllt werden könnten, aber dem ist nicht so. Nehmen wir an, ich setze
    an die Stelle von p die gesamte Göttliche Komödie und an die Stelle von q die Aussage sechs mal sechs macht sechsunddreißig . Nach den Gesetzen der materiellen
    Implikation wäre das Ergebnis ein wahrer Satz. Aber es ist
    unmöglich, die Reihenfolge der beiden Glieder umzu-
    kehren. Würde ich die Göttliche Komödie an die Stelle von q setzen, dann wäre die Folgerung – da die Gesamt-menge von Aussagen, die durch Dantes Diskurs gebildet
    wird, aus einer funktionalen Wahrheitssicht falsch ist (es
    ist nicht wahr, daß ein Florentiner zu Lebzeiten ins
    181
    Paradies gelangt ist oder daß der Fährmann Charon
    existiert) – nach denselben Gesetzen der materiellen
    Implikation eine falsche Folgerung, obwohl sie eine wahre
    Prämisse hätte. Dagegen würde alles funktionieren, wenn
    wir anstelle von sechs mal sechs macht sechsunddreißig
    den Gesamttext von Mein Kampf setzen würden, insofern
    als –
    nach dem bekannten Paradox der materiellen
    Implikation – falsch und falsch etwas Wahres ergeben.
    Daher ist es müßig, semiotische Seiltänzerkunststücke zu
    versuchen, um eine Verwandtschaft zwischen dem
    logischen Symbol und dem dunklen Symbol der
    romantischen Ästhetiken zu finden. Sie unterscheiden sich
    in der Funktionsweise, in der Syntax und im
    Wahrheitsstatus.
    Ebenso hat die Art, wie Cassirer in seiner Theorie

Weitere Kostenlose Bücher