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Die Bücher und das Paradies

Die Bücher und das Paradies

Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Hügel ermo
    (einsam)? Klar, ich denke, Sie wollten damit auf die Affäre der Hermen anspielen, die Alkibiades in einen Konflikt mit der
    Athener Regierung gebracht hat, und zugleich auf den Konflikt, der heute zwischen den Progressiven und den Anhängern von
    Forza Italia herrscht …«
    »Aber nein, der Hügel ist ermo , weil ich hier der Neigung zum Archaismus nachgegeben habe, und ich gebe zu, dies ist der
    häßlichste Vers meines kleinen Idylls; aber der Hügel ist mir
    wirklich lieb, weil ich in der Gegend geboren bin.«
    »Und warum stellen Sie sich in Gedanken tiefste Ruhe vor?
    Sagen Sie nicht, das sei keine klare und deutliche Anspielung auf die aktuelle politische Situation, auf die Unruhe der Märkte, auf das Ungewisse Schicksal der Börsenkurse.«
    201
    »Hören Sie, ich habe das Gedicht L’Infinito zwischen Frühjahr und Herbst 1819 geschrieben, da konnte ich nicht gut auf Ihre
    heutige politische Situation anspielen. Gestatten Sie einem Dichter zu träumen, auf dem Gipfel eines Hügels, der fast aus Versehen ermo ist, aber in absolut wörtlichem Sinn: Da gibt es keinerlei Allegorie, und Metaphern gibt es nur vier, die zudem recht
    bescheiden sind: die tiefe Ruhe (aber auch Ihr Lakoff würde sagen, daß Verräumlichung eine alltägliche Art von Metaphorisierung
    ist), die toten Jahreszeiten (fast eine Katachrese), das Ertrinken meines Denkens und der Schiffbruch in einem Meer, das kein
    Meer ist … Aber nirgendwo sonst ein Symbol und nirgendwo eine
    Allegorie. Die Poesie erstickt nicht in der Rhetorik und die
    Rhetorik nicht in der Gerichtsrede … Ich war dort, an jenem Tag, und sagte mir plötzlich: Mamma mia, das Unendliche
    …!
    Vielleicht ist daran nur symbolisch, daß ich es überhaupt
    geschrieben habe, obwohl kein Bedürfnis danach bestand. Aber
    dechiffrieren Sie nicht. Lassen sie meinen Moment der Schwäche so, wie er ist, lesen Sie’s nach, und dann lassen Sie sich Ihren Anteil für dieses Interview auszahlen.«
    »Also bitte, Herr Graf, das können Sie uns doch nicht
    weismachen. Drei Jahre, bloße drei Jahre nach dem Wiener
    Kongreß, und Sie grübeln über zeitlose Hingabe und Verlassensein nach, indes Europa dabei ist, zu dem zu werden, was es heute
    ist … Erlauben Sie wenigstens uns, Ihren Text auf das hin
    abzuklopfen, was er wirklich besagt.«
    Ende meines Spiels. Unfähig, das Symbol da
    aufzuspüren und zu identifizieren, wo es ist, vergiftet von
    der Kultur des Verdachts und der Verschwörung, suchen
    wir es auch dort, wo es sich nicht als Textmodus realisiert.
    Oder wo höchstens der Text als ganzer, nicht jeder
    einzelne Zug von ihm, seine irreduzible und zwanglose
    Beiläufigkeit, durch die er erscheint, wenn es niemand
    erwartet hätte, zu einem Symbol, wenn wir so wollen, der
    conditio humana wird.
    In Wahrheit geht die massenmediale Welt nicht auf die
    Jagd nach Symbolen, denn sie hat deren Gabe und Gnade
    verloren. Beraubt eines Gottes, auf den wir anspielen
    können, suchen wir überall nach Allegorien, nach
    202
    mysteriösen Verbindungen zwischen zwei auf die gleiche
    Art erstochenen Jungen (während uns die Statistiken
    sagen, daß zwei gleichartige Morde in zehn Jahren die
    Norm sind), nach blitzartigen Erleuchtungen im stumpfen
    Gewebe der Alltäglichkeit. Und dabei verlieren wir die
    Gabe, den symbolischen Modus dort zu erkennen, wo er
    sich einnistet.
    Wo alles einen zweiten Sinn hat, ist alles unheilbar flach
    und stumpf. Die Sucht nach zweiten Bedeutungen zerrüttet
    unsere Fähigkeit, zweite oder tausendste Sinne dort zu
    erkennen, wo sie wirklich vorhanden sind oder angelegt
    waren.
    Wir sind ja nicht einmal mehr imstande, die Enthüllung
    des wörtlichen Sinns zu genießen, die Verblüffung über
    das, was vorhanden ist, wenn das Höchstmaß an
    Vieldeutigkeit mit dem Mindestmaß an Tautologie
    zusammenfällt: a rose is a rose is a rose is a rose.
    Der symbolische Modus steckt da, wo wir endlich die
    Lust am Dechiffrieren um jeden Preis verloren haben.
    203
    Über Stil1
    Der Terminus Stil , wie er sich von den Anfängen in der lateinischen Welt bis zur modernen Stilistik und Ästhetik
    darstellt, hat eine nicht ganz homogene Geschichte.
    Obwohl ein ursprünglicher Kern erkennbar ist, nach dem
    er aus stilus – dem Schreibwerkzeug, von dem er sich per Metonymie herleitet – zu einem Synonym für »Schrift«
    und »Schreiben« wird und folglich für die Kunst des
    literarischen Ausdrucks, ist dieser Modus des Schreibens
    im Lauf der Jahrhunderte

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