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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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unterschiedlich und mit
    unterschiedlicher Klarheit verstanden worden.
    So geht er zum Beispiel sehr bald dazu über, weitgehend
    kodifizierte literarische Gattungen zu bezeichnen
    (erhabener, mittlerer, feiner Stil; attischer, asiatischer oder rhodischer Stil; tragischer, elegischer oder komischer Stil).
    In diesem wie in vielen anderen Fällen ist Stil eine
    Vorgehensweise nach bestimmten, gewöhnlich sehr
    präskriptiven Regeln, und so war er denn auch häufig
    begleitet von den Ideen der Vorschrift, der Nachahmung
    und der Befolgung von Modellen. Gewöhnlich wird
    angenommen, im Zeitalter des Manierismus und des
    Barock habe sich dann mit der Vorstellung von Stil immer
    mehr die der Originalität und des Ingeniums verbunden –
    und das nicht nur in den Künsten, sondern auch im Leben,
    da mit der Renaissance-Vorstellung von »stolzer Unge-
    zwungenheit« der Mann von Stil derjenige wird, der den

    1 Schlußbeitrag zu dem Kongreß »Lo Stile
    – Gli stili« der
    Associazione Italiana di Studi Semiotici (Feltre, September 1995).
    Veröffentlicht in Carte semiotiche , 3. September 1996.
    204
    Scharfsinn und Mut aufbringt (und die soziale Macht hat),
    gegen die herrschenden Sitten zu verstoßen – oder zu
    demonstrieren, daß er das Privileg hat, gegen sie verstoßen
    zu dürfen.
    Dennoch wird sogar Buffons Diktum le style c’est
    l’homme même noch nicht im individualistischen Sinne
    verstanden, sondern in dem der Gattung: Stil ist männliche
    Tugend = menschliche Qualität.
    Die Idee eines Stils, der sich gegen die Vorschriften
    behauptet, erscheint eher in Cesare Beccarias Ricerca
    intorno alla natura dello stile und dann in den
    organizistischen Kunsttheorien, nach denen mit Goethe
    von Stil zu sprechen ist, wenn das Kunstwerk eine ihm
    eigene originale, abgeschlossene, unwiederholbare Har-
    monie erreicht. Noch deutlicher tritt sie in den
    romantischen Auffassungen vom Genie hervor (nach
    denen selbst Leopardi sagt, Stil sei jene Art von Manier
    oder Fähigkeit, die man Originalität nennt). Diese
    Entwicklung geht so weit, daß sich der Begriff gegen Ende
    des 19. Jahrhunderts gleichsam um dreihundertsechzig
    Grad gedreht hat, wenn Stil bei den Décadents und im
    Dandyismus mit bizarr-absonderlicher Originalität und
    Verachtung für Modelle gleichgesetzt wird; aus dieser
    Vorstellung entwickeln sich dann sämtliche Ästhetiken der
    klassischen Avantgarde.
    Ich würde zwei Autoren nennen, für welche Stil ein
    ausgeprägt semiotischer Begriff ist, nämlich Flaubert und
    Proust. Für Flaubert ist Stil ein Modus, das eigene Werk
    zu formen, und er ist sicherlich unwiederholbar, aber in
    ihm zeigt sich auch eine Art zu denken, eine bestimmte
    Sicht der Welt. Für Proust wird Stil zu einer Art
    transformierter Intelligenz, die sich in der Materie
    verkörpert, was so weit geht, daß für ihn Flaubert durch
    die neue Art, wie er die Tempora der französischen
    205
    Sprache gebraucht, das passé simple , das Perfekt, das
    Imperfekt und das Partizip Präsens, unsere Sicht der Welt
    fast so gründlich erneuert hat wie Immanuel Kant.
    Aus diesen Quellen entspringt die Idee des Stils als
    Formbildungsweise ( modo di formare ), die im Zentrum
    der Ästhetik von Luigi Pareyson steht. Und es ist klar, daß
    an diesem Punkt der Entwicklung, wenn das Kunstwerk
    Form ist, die Formbildung nicht mehr allein den Wort-
    schatz oder die Syntax betrifft (wie es bei der sogenannten
    Stilistik der Fall sein kann), sondern jede Strategie der
    Semiose, die sich sowohl an der Oberfläche wie auch in
    der Tiefe längs der Nervaturen eines Textes entfaltet.
    Zum Stil (als Formbildungsweise) gehören dann nicht
    nur der Gebrauch der Sprache (oder der Farben oder der
    Töne, je nach den semiotischen Systemen oder Uni-
    versen), sondern auch die Disposition der narrativen
    Strukturen, die Zeichnung der Personen, die Artikulation
    von Gesichtspunkten.
    Man lese die folgende Stelle von Proust, in seinen
    Remarques sur le style (1920), wo er behauptet, Stendhal habe sich weniger um einen gepflegten Stil gekümmert als
    Baudelaire. Proust legt hier nahe, daß Stendhal schlecht
    geschrieben habe, und das ist nichts Neues, wenn man unter Stil den Wortschatz und die Syntax versteht.
    Wenn er von einer Landschaft gesagt hatte: »diese bezaubernde
    Gegend«, »diese hinreißende Gegend«, oder von einer seiner
    Heldinnen: »diese anbetungswürdige Frau«, wünschte er keine
    weitere Präzisierung. Es mangelte ihm so sehr an Stil, daß

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