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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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1955, S. 55.
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    losigkeit gemildert würde, wenn wir annähmen, daß Walt
    Disney an genau diese Art von poetischem Verfahren
    gedacht hatte), doch in Wahrheit tun sowohl Racine als
    auch Walt Disney nichts anderes, als einer der
    natürlichsten Neigungen des Menschen zu folgen, nämlich
    den Schatten Konsistenz zu geben, beziehungsweise in der
    dunklen Unförmigkeit einer erregten Natur lebendige und
    bedrohliche Formen zu sehen (mit Recht betrachtet Parret
    in diesem Zusammenhang die Hypotypose als eine der
    Figuren, die zur Produktion des Erhabenen beitragen).
    Was man meines Erachtens jedenfalls sagen kann, ist,
    daß wir es in allen diesen Beispielen mit deskriptiven und
    narrativen Techniken zu tun haben, deren Gemeinsamkeit
    einzig darin besteht, daß der Adressat einen visuellen
    Eindruck aus ihnen gewinnt (wenn er will, das heißt wenn
    er bereit ist, mit dem Text zu kooperieren). Dies erlaubt
    mir zu sagen, daß folglich hier die Hypotypose als
    besondere rhetorische Figur nicht existiert. Die Sprache
    gestattet uns das Beschreiben von Gesichtern, Formen,
    Posen, »Szenen«, Handlungssequenzen, sie gestattet es
    uns fortwährend im Laufe unserer alltäglichen
    Verrichtungen (andernfalls könnten wir nicht einmal
    sagen: »Hol mir bitte mal aus dem Geräteschuppen dieses
    Ding, das soundso aussieht«), und sie ermutigt uns erst
    recht dazu, dies aus künstlerischen Gründen zu tun, aber
    sie gestattet es aufgrund vielfältiger Techniken, die sich
    nicht auf eine Formel oder Instruktion reduzieren lassen,
    wie es bei Tropen und den rhetorischen Figuren im
    eigentlichen Sinne vorkommt, etwa bei der Synekdoche,
    dem Hyperbaton, dem Zeugma und sogar in gewissem
    Maße bei der Metapher.
    So bliebe uns also nichts anderes mehr übrig, als eine
    Typologie von Techniken der Darstellung/Evokation des
    Raumes in Angriff zu nehmen. Müßten wir uns nicht an
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    diesem Punkt erst noch fragen, was eigentlich unter Raum
    zu verstehen ist – ohne dabei vermeiden zu können, uns
    die gleiche Frage auch über die Zeit zu stellen.
    Es gibt Raum und Zeit im newtonschen Sinn als absolute
    Größen, Raum und Zeit im kantischen Sinn als reine
    Anschauung und apriorische Bedingung der Erfahrung, es
    gibt den bergsonschen Gegensatz zwischen Zeit der Uhren
    und Zeit der inneren Dauer, es gibt den meßbaren Raum
    der cartesianischen Geometrie und den gelebten Raum der
    Phänomenologie. Hier geht es nicht darum, die eine oder
    andere Auffassung zu privilegieren, da uns die Sprache
    immer gestattet, von Raum und Zeit zu sprechen, und man
    zwanglos sagen kann, wie viele Millionen Kilometer man
    bis zum Sternbild Alpha Centauri zurücklegen müßte oder
    wieviel Lebens-(&-Leidens-)zeit eine nicht enden
    wollende Reise von Florenz nach Fiesole kosten kann,
    ganz zu schweigen von einer Reise um die eigene
    Schlafkammer herum (im Tristram Shandy füllt ein
    Gespräch zwischen zwei Personen, die eine Treppe
    hinuntersteigen, drei ganze Kapitel).
    Wollte man heute (nach der Erfindung neuer Darstel-
    lungstechniken wie des Films) Lessings Laokoon neu
    schreiben, müßte man sich fragen, ob es noch einen Sinn
    hat, zwischen Künsten der Zeit und Künsten des Raumes
    zu trennen und – wenn man das positiv beantwortet – sich
    fragen, wie dann die Künste des Raumes die Zeit und die
    Künste der Zeit den Raum darstellen können.
    Zunächst einmal lassen sich viele Überlegungen darüber
    anstellen, wie die Künste des Raumes den Raum dar-
    stellen. Das Hauptbeispiel dafür ist die Perspektive, in der
    eine zweidimensionale physische Fläche Dreidimen-
    sionalität als ihre Bedingung erzeugt und ein winziges
    Stück Ausdrucksraum weitesten Inhaltsraum ausdrücken
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    kann – wie man entdeckt, wenn man zum Beispiel die
    Geißelung Christi von Piero Della Francesca, nachdem
    man sie lange in verschiedenen Reproduktionen gesehen
    hat, endlich im Original im Palazzo Ducale von Urbino
    sieht und verblüfft feststellt, daß dieser als so weitläufig
    wahrgenommene Raum in einen so kleinen Rahmen
    gefaßt ist.
    Wie die Künste des Raumes die Zeit darstellen oder
    geradezu die Zeit ihrer eigenen Betrachtung implizieren,
    habe ich an anderer Stelle behandelt.5 Die Phänomeno-
    logie ist weit gespannt und verlangt zunächst eine Analyse
    der diversen Beziehungen, die Gérard Genette bezeich-
    nende ( signifiante )und bezeichnete ( signifiée )Räumlichkeit nennt – und die ich aus Gründen, auf die ich später
    zurückkommen werde, lieber als

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