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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Räumlichkeit des
    Ausdrucks und Räumlichkeit des Inhalts ansprechen
    würde. Es gibt Bilder, die eine Art Erstarrung des Augen-
    blicks suggerieren, wie jene Verkündigung von Lorenzo Lotto, in der die überraschte Geste Marias in dem
    Augenblick erfaßt worden ist, in dem eine Katze durchs
    Zimmer springt, oder ein Schnitt von Lucio Fontana
    gleichsam als Momentaufnahme der blitzartigen Bewe-
    gung, mit der die Klinge durch die gespannte Leinwand
    gefahren ist.
    Genau bedacht liegt jedoch nichts Einzigartiges in der
    Tatsache, daß ein begrenztes Stück Raum, das von sich
    aus zeitlos ist, einen kurzen Moment ausdrückt. Das
    Problem entsteht, wenn man sich fragt, wie durch
    Fragmente von Raum eine lange Zeit ausgedrückt wird.
    Zunächst entdeckt man, daß man im allgemeinen, um viel

    5 Vgl. »Die Zeit in der Kunst«, in Über Spiegel und andere Phänomene , Hanser 1985, S. 143 – 154.
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    Zeit auszudrücken, viel Raum benötigt. Es gibt Bilder-
    geschichten, die eine sogar jahrhundertelange Folge von
    Ereignissen durch eine Reihe von Einzelbildern darstellen,
    wie es bei den Comics der Fall ist; andere durch visuelle
    Wiederholung derselben Figuren in verschiedenen
    Aufmachungen, Situationen und Lebensaltern. Dies alles
    sind Fälle, in denen viel Raum aufgewandt wird, um viel
    Zeit darzustellen, und zwar nicht nur viel bezeichnender
    Raum, sondern auch viel von jenem Raum (nicht
    semantischer, sondern pragmatischer Art), den der Be-
    trachter abschreiten muß, um das Kunstwerk zu genießen.
    Um das Vergehen der Zeit im Zyklus der Legende vom
    Heiligen Kreuz in Arezzo zu erfassen, muß man sich
    bewegen, und das nicht nur mit dem Blick, sondern auch
    mit den Füßen, und noch mehr muß man wandern, wenn
    man die ganze Geschichte verfolgen will, die auf dem
    Wandteppich von Bayeux erzählt wird. Es gibt Kunst-
    werke, die eine lange Zeit der Umkreisung verlangen und
    zugleich eine lange Aufmerksamkeit für ihre kleinsten
    Einzelheiten, wie eine gotische Kathedrale, zumal eine
    wie in Chartres. Eine Skulptur, die sich als kleiner
    Elfenbeinkubus präsentiert, kann in einem kurzen Moment
    der Betrachtung erlebt werden (auch wenn ich glaube, daß
    sie berührt und gedreht werden muß, damit man alle
    Seiten erfaßt), aber ein Kubus, bei dem jede Seite eine
    Million Quadratkilometer groß ist, muß umkreist werden,
    vielleicht mit dem Raumschiff aus Odyssee im Weltraum , sonst würde man seine megagalaktische Erhabenheit nicht
    erfassen.
    Wenn man also viel Raum benötigt, um viel Zeit
    darzustellen, wird man dann nicht (in den Künsten der
    Zeit) auch viel Zeit benötigen, um viel Raum darzustellen?
    Schränken wir das Thema zunächst einmal ein. Stellen wir
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    uns zum Beispiel nicht die Frage, ob die Musik den Raum
    ausdrücken kann, auch wenn wir sie instinktiv bejahen
    würden. Auch wer nicht um jeden Preis deskriptivistisch
    sein will, kann schwer leugnen, daß die Symphonie aus
    der Neuen Welt von Dvořák oder die Moldau von Smetana weite Räume suggerieren, so daß der Dirigent sich häufig
    dazu verleitet sieht, mit weit ausgreifenden weichen
    Bewegungen zu dirigieren, als wollte er ein Fließen
    ausdrücken und könnte mit ihrer Länge zu dieser Wirkung
    beitragen. Sicher legen manche Arten von Musik die
    Pirouette nahe, andere den Sprung, wieder andere das
    Schreiten, und folglich gibt es rhythmische Strukturen, die
    körperliche Bewegungen herbeiführen oder abbilden, mit
    denen wir uns im Raum bewegen – andernfalls gäbe es
    keinen Tanz.
    Aber beschränken wir uns auf die verbale Rede. Nehmen
    wir die Unterscheidung zwischen Raum des Ausdrucks
    und Raum des Inhalts wieder auf und heben wir hervor,
    daß wir uns weniger für die Form des Ausdrucks als
    vielmehr für seine Substanz werden interessieren müssen.
    Wir haben es schon gesehen, als wir uns mit den
    Beispielen von Quintilian befaßten: zu sagen, daß zwei
    Faustkämpfer sich auf die Zehenspitzen recken, scheint
    uns keine große Hypotypose zu sein, während uns die
    detaillierte Beschreibung der Eroberung und Plünderung
    einer Stadt, Ereignis für Ereignis und Moment für
    Moment, sehr viel anschaulicher dünkt. Aber eine solche
    Beschreibung erfordert eine Menge Seiten (oder
    wenigstens Verse).
    Daher würde ich, wenn ich von räumlichem Ausdruck
    spreche, nicht an jene Fälle denken, in denen auf der
    Ausdrucksebene ein Raum benannt wird, der auf der
    Inhaltsebene nicht mehr Raum, sondern etwas anderes ist,
    womöglich gar ein

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