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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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beide sogleich auf die
    Zehenspitzen recken«. Das zweite zitiert die Verrinen (5, 33, 86): »Am Ufer stand, in Sandalen, mit einem roten
    Mantel und einer bis zu den Füßen reichenden Tunika, auf
    eine Dirne gestützt, der Prätor des römischen Volkes«, und
    Quintilian fragt sich, ob jemand so phantasielos sein kann,
    den Ort und die Personen nicht vor sich zu sehen, und
    sogar mehr, als tatsächlich gesagt wird, nämlich auch die
    Gesichter und die Augen und die obszönen Liebkosungen
    und das Unbehagen der Umstehenden. Das dritte Beispiel,
    ebenfalls von Cicero, ein Abschnitt aus der Rede für
    Q. Gallius, bezieht sich auf ein ausschweifendes Gast-
    mahl: »Mir schien, als sähe ich Leute ein- und ausgehen,
    einige torkelten betrunken, andere gähnten wegen des
    Rausches vom vorigen Tage. Der Boden war schmutzig,
    besudelt mit Wein, übersät mit verwelkten Blumenkränzen
    und Fischgräten.«
    Ein viertes Beispiel lautet: »Gewiß verbindet, wer sagt,
    daß eine Stadt eingenommen worden ist, damit die
    Vorstellung allen Unglücks, das eine solche Heimsuchung
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    mit sich zu bringen pflegt, aber eine so knappe Auskunft
    weckt keine tiefe Rührung. Wenn jedoch die in einem
    einzigen Wort enthaltenen Vorstellungen sich entfalten
    können, dann sieht man die Flammen in Häusern und
    Tempeln lodern und hört das Krachen der zusammen-
    stürzenden Häuser und den verworrenen gleichförmigen
    Lärm, den unterschiedliche Laute erzeugen, und die
    Ungewisse Flucht der einen, die letzten verzweifelten
    Umarmungen der anderen, das Geschrei der Kinder und
    der Frauen, die Alten, die unglücklicherweise bis zu
    diesem Tag am Leben geblieben sind; und weiter die
    Zerstörung der profanen und heiligen Dinge, das Ge-
    tümmel derer, die ihre Beute forttragen und zurückkehren,
    um sich noch mehr zu holen, die Gefangenen in ihren
    Ketten, jeder getrieben von seinem Wärter, die Mutter, die
    ihr Kind festzuhalten sucht, und die Rauferei unter den
    Siegern …«
    Desgleichen zitiert Dumarsais als Beispiel für Hypoty-
    pose diese Stelle aus Racines Phèdre , V, 6:
    Cependant sur le dos de la plaine liquide
    S’élève à gros bouillons une montagne humide;
    L’onde s’approche, se brise, et vomit à nos yeux,
    Parmi les flots d’écume, un monstre furieux;
    Son front large est armé de cornes menaçantes
    Tout son corps est couvert d’écailles jaunissantes;
    Indomptable taureau, dragon impétueux,
    Sa croupe se recourbe en replis tortueux …

    Indem erhebt sich aus der flüss’gen Ebne
    Mit großem Wallen hoch ein Wasserberg,
    Die Woge naht sich, öffnet sich und speit
    Vor unsern Augen, unter Fluten Schaum’s,
    Ein wütend Untier aus. Furchtbare Hörner
    Bewaffnen seine breite Stirne, ganz
    Bedeckt mit gelben Schuppen ist sein Leib;
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    Ein grimm’ger Stier, ein wilder Drache ist’s,
    In Schlangenwindungen krümmt sich sein Rücken …4
    Wenn wir uns die vier Beispiele von Quintilian näher
    ansehen, stellen wir fest, daß im ersten nur eine
    Körperhaltung genannt wird (durch die der Leser
    sozusagen eingeladen wird, sich die Szene vorzustellen);
    im zweiten wird eine Pose mit einiger Bosheit
    beschrieben – die Feierlichkeit des roten Mantels wird in
    die Nähe der Vulgarität jener Dirne ( muliercula )gerückt, so daß der Zuhörer einen schrillen Ton hört; im dritten ist
    das, was die Beschreibung interessant macht, nicht nur die
    größere Präzision und Länge, sondern auch die Wider-
    wärtigkeit der beschriebenen Dinge (vergessen wir nicht,
    daß in der antiken Mnemotechnik ein monströses oder
    schreckliches Bild mehr Chancen hatte, im Gedächtnis
    haften zu bleiben und folglich im rechten Moment erinnert
    zu werden). Im vierten Fall liegt kein eigentliches Beispiel
    vor, sondern es wird angedeutet, wie die breite und erregte
    Beschreibung einer langen Handlungssequenz aussehen
    könnte, und ich spreche von dem dramatischen Ablauf der
    Handlungen hier ganz absichtlich wie von einer filmischen
    Sequenz.
    Im Falle des Zitats von Racine haben wir etwas noch
    Komplexeres, nämlich die Beschreibung verschiedener
    Phasen eines Naturereignisses, aber mit fortgesetzter
    Zoomorphisierung jeder der einander folgenden Wellen.
    Man kann sich nur schwer der Versuchung oder dem Reiz
    entziehen, sie sich visuell vorzustellen. Es mag respektlos
    erscheinen, hier an Walt Disneys Schneewittchen bei der
    Flucht durch den Wald zu erinnern (wobei die Respekt-

    4 Dt. von Friedrich Schiller (1804), jetzt Stuttgart, Reclam,

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