Die Büro-Alltags-Bibel
Stimme gleich erkannt, wie geht’s Ihrer Tochter, der, äh, ja also … wie war doch gleich ihr Name?« Nicht zu vergessen die Auskünfte von Kollegen, die mehr Delikates von sich preisgeben als man eigentlich wissen möchte. »Neulich kam er grad frisch von der OP. Künstlicher Darmausgang. Na schönen Dank – mein Hunger war passé«, singen »Die Ärzte« zynisch. Der Song illustriert pointiert einen zivilisatorisch weit verbreiteten Betriebsunfall,den viele unterschätzen – allen voran die Berufseinsteiger und die Extrovertierten: zu viel Offenheit im Büro. Mit innerbetrieblichen Bekenntnissen ist es nämlich wie mit Bierkrügen in Sprichwörtern: Ihr Maß ist irgendwann voll. Ein bisschen Freimut, etwas Mitteilsamkeit, ein gesundes Maß an gegenseitigem Vertrauen sind eine feine Sache. Das verbessert jedes Betriebsklima und – glaubt man einschlägigen Studien – kann sogar die Produktivität steigern. Zu viel Enthüllung aber, und die Leute sehen nur noch einen nackten Kaiser.
Entziehen kann man sich dem Dilemma nicht wirklich. Offenheit wird heute in nahezu jedem Unternehmen stillschweigend erwartet. Wer mit den Kollegen mittagessen geht, zwischendurch einen Kaffee oder abends mal ein Bier trinkt, kann nicht nur über die Firma quatschen. So jemand gilt schnell als Langweiler oder Workaholic. Mehr noch: Die Mimikry, das Versteckspiel und Verschanzen hinter einer positiven Scheinwelt aus Berufserfolgen und Superprojekten, macht verdächtig. Es riecht nach Profilneurose, nach Blendwerk und Schwindelei. Also muss man ab und an auch ein paar persönliche Offenbarungen zum Besten geben, Schwächen inklusive. Nicht ungefährlich. Oft entwickeln diese Beichtrunden eine sich gegenseitig verstärkende Dynamik. Wo Konfessionen lossprudeln, bricht bald der Schamdamm. Und hat man erst einmal sein Herz und seine wahren Gedanken über den Boss, einen Kollegen, den Partner daheim oder gar seine sexuellen Eroberungen ausgebreitet, lässt sich das nicht mehr zurücknehmen. Wer sich dabei dem Falschen anvertraut, darf damit rechnen, dass sich das Geständnis in Windeseile herumspricht. Die Informationen entziehen sich damit jeglicher Kontrolle, wo sie landen, wie sie dort aufgenommen werden und ob sie einem irgendwann um die Ohren fliegen.
Das Schlimme daran ist nicht einmal das Verbreiten der Beichte – es ist ihre Bewertung: Egal, welche Rolle Sie in Ihrer Geschichte spielen (Held, Opfer, Witzbold) – entscheidend ist, was beim anderen ankommt. Vielleicht halten Sie sich für unschuldig oder ungerecht behandelt; womöglich haben Sie Großartiges geleistet, den Laden oder eine wunderschöne Frau aus einem flammenden Inferno gerettet. Das alles ist aber nichts weiter als heiße Luft, wenn Ihr Zuhörer dieselbe Geschichte ganz anders aufnimmt. Womöglich kommt ihm Ihre Heldentat wie ein Sturm im Wasserglasvor. Dann stehen Sie da wie ein Prahlhans und Hundertsassa. Dummerweise wird er aber nur diese Version erinnern und weitersagen. Genauso ist es mit dem, was zwischen den Zeilen steckt. Sie erzählen freimütig vom letzten Streit mit Ihrem Partner, geben ein paar Frustkäufe zum Besten und gestehen Ihre Unzufriedenheit über Fettpölsterchen und erste Bindegewebsschwächen – was bei den anderen aber hängenbleibt, ist: Die ist nicht belastbar und hat ihr Leben nicht im Griff. Die nächste Beförderung rückt in weite Ferne. Dumm gelaufen.
Klatsch ist ein Karrierekiller, kein Blatt vor den Mund zu nehmen aber auch: So formieren sich leicht Zweifel am Charakter oder an der Leistungskraft. Zudem können selbst die dicksten Bürofreundschaften eines Tages ins Gegenteil kippen. Ein heftiger Streit, etwas verletzte Eitelkeit und leichte Rachegelüste – und Sie müssen damit rechnen, dass das Anvertraute plötzlich gegen Sie verwendet wird, Motto: »Hättest du gedacht, dass der Schulze seine Frau betrügt und heimlich Kopierpapier mitgehen lässt?« Überlegen Sie sich also genau, wie tief Sie sich in die Karten schauen lassen wollen, was Sie unter Kollegen offenbaren und wie es auf diese wirken könnte, denn es prägt Ihren Ruf nachhaltig. Oder anders formuliert: Wer bei allem offen ist, kann nicht mehr ganz dicht sein.
Umgekehrt, wenn Sie etwas hören, was vielleicht zu viel des Guten war – schweigen Sie charmant. Schon ein Lächeln könnte den anderen ermuntern, sich noch weiter um Kopf und Kragen zu reden. Und falls er dennoch keine Grenzen kennt, halten Sie es mit den Ärzten: »Danke, das war jetzt mehr, als
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