Die Burg
nicht.
Friedhof? Das Schwein fuhr auf den Parkplatz neben der Kapelle.
Er ließ den Wagen ein paar Meter weiterrollen, hielt am Straßenrand und schaute sich um.
Ein Begräbnis. Viel Volk unterwegs – und verdammt viele Bullen.
Gegenüber ein Spielplatz, menschenleer, eine Reihe hoher Tannen, nicht zu weit weg.
Er steckte das Fernglas in den Hosenbund, knöpfte seine Jacke zu und stieg aus.
Trauermenschen gingen vorbei. Er war unsichtbar.
Die unteren Äste der Tannen waren hoch, aber er bekam sie mit einem einzigen Sprung zu fassen.
Er war immer im Training geblieben. Nicht ein bisschen außer Atem, als er oben seine Position erreicht hatte und das Fernglas ansetzte.
Verdammt guter Blick.
Nur fünf Sekunden, und er hatte das Schwein im Visier.
Grinste nicht, klotzte Trauer raus. Händeschütteln.
Er rutschte ein Stück nach links.
Harzgeruch stieg ihm in die Nase, und er spürte, wie ihm auf dem Rücken der Schweiß ausbrach.
Die Narben an seinen Armen juckten wie die Pest.
Bernie Schnittges war nicht auf dem Friedhof.
Er hatte sich noch gestern Abend mit der Akte «Dominik Raats» beschäftigt, die Ackermann gleich mitgebracht hatte. Walter Lohmeier hatte tatsächlich höchstpersönlich dafür gesorgt, dass gegen seinen Schwiegersohn ermittelt wurde, und es wäre kein Wunder, wenn Raats mehr als nur Groll für den Richter empfand. Trotz der späten Stunde war Schnittges noch zu Lohmeiers Haus gefahren, um mit der Tochter zu sprechen. Annika Lohmeier-Raats war achtundzwanzig, wirkte aber durch ihr Mädchengetue und das helle Stimmchen wie fünfzehn und war so gar nicht Bernies Fall.
«Ich war damals, als Mutti starb, völlig durcheinander, und Vati hat so geklammert. Das habe ich einfach nicht mehr ausgehalten. Und Nick hat mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen, war immer für mich da. Und Geld hatte er mehr als genug, aber Vati hat später ja herausgefunden, warum das so war. Nick ist für mich gestorben, mit dem will ich nichts mehr zu tun haben. Und an Fiona kommt er auch nicht heran, ich habe das Sorgerecht, dafür hat Vati schon gesorgt.»
Raats war seit acht Monaten wieder auf freiem Fuß und hatte vom ersten Tag an versucht, Frau und Tochter wieder zu sich zu holen.
«Vati hat jetzt eine Verfügung erwirkt, dass er uns nicht mehr nahe kommen darf.»
Was ihr Exmann heute trieb und wo er wohnte, wusste sie nicht. «Unser altes Haus musste verkauft werden, aber er hat gesagt, er hätte schon wieder ein neues.»
Auch hatte sie nichts davon gehört, dass der Richter vermutete, Raats sei nach wie vor in kriminelle Machenschaften verstrickt. Sie hatte sich in ihre Sofaecke gedrückt, die Beine unter den Körper gezogen und ausgesehen, als würde sie sich am liebsten die Ohren zuhalten.
«Nicks Name darf hier im Haus nicht mehr genannt werden. Das lässt Vati nicht zu.»
«Hat Raats Ihren Vater einmal bedroht?»
«Ich glaube nicht, aber wieso …?»
Dann war der Groschen gefallen. Die nachfolgende Tränenflut hatte Schnittges in die Flucht getrieben. Er war noch einmal zum Präsidium gefahren, hatte im Melderegister Raats’ neue Adresse herausgesucht, sie auf dem Stadtplan gefunden – gehobene Wohnlage, gar nicht weit von Lohmeiers entfernt – und war, bevor er sich auf den Weg nach Krefeld machte, an dem Anwesen vorbeigefahren. Eine große, gepflegte Villa aus dem neunzehnten Jahrhundert mit einer Garage, die Platz für vier Autos bot. Die Zufahrt wurde durch kleine Kugellampen beleuchtet, das Haus selbst war dunkel.
«Donnerwetter», entfuhr es Bernie, «nicht schlecht für einen Knacki.» Dann machte er sich auf den Heimweg.
Er gönnte sich acht Stunden Schlaf und ein ausgiebiges Frühstück und beschloss, direkt nach Holland zu fahren. Als auf dem Klever Friedhof die Trauerfeier für Ruth und Anton Pannier begann, betrat er gerade die Intensivstation des Arnheimer Krankenhauses.
Der Pfarrer sprach ein Gebet, wurde aber immer wieder durch das Knarzen der Funkgeräte gestört. Toppe gab dem Einsatzleiter ein Zeichen, und das irritierende Geräusch verstummte.
Ackermann runzelte die Stirn, aber Toppe zuckte die Achseln und signalisierte: nur fünf Minuten.
Für die Ansprache des Bürgermeisters versammelten sich alle draußen, in der Kapelle war nicht genug Platz für die vielen Trauernden.
Bewegende Worte, Schluchzen.
Toppe spürte ein Kribbeln im Nacken und begegnete Ackermanns alarmiertem Blick.
Unauffällig bewegten sie sich weg von der Menge.
«Irgendwas stimmt
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