Die Burg
nicht», sagte Ackermann.
Toppe nickte. Es war ruhig, zu ruhig.
Da stockte der Bürgermeister in seiner Rede und kniff die Augen zusammen. Ein Lichtstrahl traf seine Brillengläser und blendete ihn. Ackermann fuhr herum, Toppe sprang nach vorn – aber das Aufblitzen war schon wieder verschwunden.
In der Kapelle setzte die Orgel ein.
Der Alte hatte ihn dann in dieses Internat gesteckt, hatte ihn endlich vom Arsch gehabt, konnte umziehen, sooft er wollte, konnte ganz nach oben durchstarten, musste keinen Hund mehr wegmachen lassen.
Sah ihn nicht mehr, auch Weihnachten nicht, wenn «das Institut» jeden nach «Hause» schickte.
Einmal im Jahr musste es nicht britisch zugehen, dann durfte die Alte ihre deutschen Platten laufenlassen – «Stille, stille, still, wenn’s Kindlein schlafen will».
Wenn sie wie eine Irre Kerzen aufstellte und Tannenzweige in jeden Winkel tackerte.
Und die ganze Zeit die Schnauze halten und auf ihre Füße starren. Immer auf ihre Füße und manchmal weit weg, irgendwohin.
Und Zimtsterne auf dem Kopfkissen und Marzipanbrote.
Keine Ahnung, wie viele Weihnachten.
Er hatte einfach nicht mehr mitgespielt.
Thorsten war tot, wozu noch mitspielen?
Hatte dem Mathekomiker eins auf die Fresse gegeben.
Hatte dem Direx und der ganzen Paukerbande nicht eine Silbe gesagt.
Die konnten ihm nichts.
Keiner konnte ihm was.
«Du wirst das Institut verlassen. Was mir übrigens sehr leidtut, denn du hast durchaus Potential.» Die fettige Stimme. «Aber dein Vater hat eine hervorragende Schule in England für dich gefunden. Ich kann für dich nur hoffen, dass du zur Vernunft kommst und den Ansprüchen dieser Schule und deines Vaters gerecht wirst.»
Die labberige Hand auf seiner Schulter, der Geruch von Weihrauch.
«Du bekommst noch eine Chance, Junge. Nutze sie! Ich werde für dich beten. Wie gesagt, eine hervorragende Schule. Sei dankbar, dass man dich dort angenommen hat.»
Das Schwein grinst. «Na, Coolman, alles gründlich vergeigt? Und dabei ganz aus Versehen sogar den willigen Knaben verloren. Eine echte Verlierernummer, würde ich sagen.»
In einem grauen Umschlag hatte der Alte ihm das Flugticket geschickt, einen Zettel mit der Adresse der «Boarding School», einen Zug- und einen Busfahrplan – sonst nichts.
Mutter hatte ein Brieflein dazugelegt, hellblau, liniert: «Lass es Dir schmecken, mein Liebling.»
Erdnussriegel im Fünferpack, eine Schachtel Minzplätzchen und ein Polaroidfoto von Mama, Papa und Bobo in irgendeinem Garten hinter irgendeinem Haus.
Zweieinhalb Jahre «hervorragendes» Internat in den Cotswolds, «Heart of England».
Sie hatten ihm nichts mehr gekonnt, das Kopf-in-die-Kloschüssel-und-abspülen-Spiel und all die anderen Klassiker.
Für all das war er schon zu alt gewesen, zu fit und zu ausgekocht.
Von ihm hatten sie sich etwas abgucken können.
Er konnte präzise Tritte setzen, er wusste, wie man Eier umdrehte.
Er lernte, wie man Finger brach.
Ein verirrter Sonnenstrahl blendete ihn.
Er nahm das Glas herunter und rieb sich die Augen.
Zeit, abzuhauen, bevor sich die Trauerrunde auflöste und womöglich die Bullen ausschwärmten.
Zeit, sich seinen Alten wieder aus dem Kopf zu schlagen, der sich irgendwo im Dienste Ihrer Majestät die Eier leckte und die Alte vögelte, wenn er denn noch einen hochkriegte.
Zeit, Vorbereitungen zu treffen.
Die richtige Stelle im Wald finden, den richtigen Ast. Ihn anspitzen. Ihn deponieren.
Ein Griff nur, und er musste ihn haben, sicher in der Hand, Verlängerung seines Arms.
Das Schwein sollte seine Hose selber runterziehen.
Er wollte nur dastehen und schauen, wollte sehen.
Langsam musste es ablaufen, sehr langsam.
Das Schwein sollte sich dabei bepissen und bescheißen.
Es musste an ihm runterlaufen.
Brauchte er doch noch eine Knarre, oder würde das Messer reichen?
Das Schwein war schwach.
Das Messer würde reichen.
Er allein würde reichen.
Der Mann war mehr tot als lebendig.
Bernie Schnittges hatte der Ärztin gegenüber all seinen Charme spielen lassen, um an Lohmeiers Bett gelassen zu werden, und konnte jetzt nur noch schlucken.
«Herr Lohmeier?»
Die bandagierte Gestalt zuckte kurz mit der linken Hand und stöhnte.
«Tut mir leid», flüsterte Bernie und schlich hinaus. Die Ärztin nickte ihm kurz zu und ließ ihn stehen. Frustriert machte sich Schnittges auf den Weg zu seinem Auto. Jetzt hatte er keine andere Wahl. Wenn er herausfinden wollte, ob dieser Raats tatsächlich Dreck am
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