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Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
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üblichen Erscheinungsform. Es ist aber keine
bloße Maske – wir stammen von Menschen ab und haben
vieles mit Ihnen gemeinsam, vielleicht mehr, als Sie
meinen.«
    Das Gleiche hätte er vermutlich auch irgendwelchen
Gorillas gesagt – oder einem Goldfisch. »Aber«,
fuhr das freundliche Gesicht fort, »wir sind natürlich
posthuman. Das wollen wir weder verbergen noch herunterspielen.
Wir sind uns der langen Geschichte der Zwietracht zwischen denen
bewusst, die unseren Weg einschlugen, und denen, die sich
dafür entschieden, die menschliche Gestalt zu
bewahren.«
    Er fasste mich in den Blick, was mir ein unbehagliches
Gefühl vermittelte. »Ellen May Ngwethu«, sagte
er. »Es erstaunt mich, Sie hier zu sehen. Ihre
früheren Gegner vom Wrackdeck lassen Sie
grüßen.«
    Er hob die Hand, dann ballte er sie zur Faust, was, seinem
spöttischen Gesichtsausdruck nach zu schließen, wohl
einen ironischen Salut bedeuten sollte.
    »Woher kennen Sie mich?«, fragte ich, darum
bemüht, mir meine Verunsicherung nicht anmerken zu lassen.
In der folgenden Pause hatte ich Zeit genug zu zittern.
    »Wir sind Individuen«, antwortete der Jupiteraner
und führte die geballte Faust an die Brust. »Das ist
kein Bienenstock und auch kein…« – er
lächelte – »›jupitergroßes
Gehirn‹. Die Erinnerungen teilen wir jedoch miteinander,
und nichts geht verloren. Ich hoffe, Sie werden uns eines Tages
als lebendige Wesen in anderer Gestalt wahrnehmen, nicht
bloß als Simulationen oder seelenlose Mimikry. Unsere
Gedanken und Gefühle mögen zwar umfassender und tiefer
sein als zu unserer Zeit als Menschen, doch ansonsten ähneln
sie den Ihren. Wir sind auch Menschen, Ellen, wie Sie hoffentlich
irgendwann erkennen werden.«
    Ich gab keine Antwort, und nach der unvermeidlichen Pause
wandte der Jupiteraner sich von mir ab.
    »Tatsuro, nicht wahr?«, sagte er. »Sie haben
bestimmt eine Menge Fragen.«
    »Allerdings«, erwiderte Tatsuro gewandt.
»Zunächst aber möchte ich sagen, wie sehr die
meisten von uns die Gelegenheit begrüßen, mit Ihnen zu
sprechen. Ich will ganz offen sein. Wie Sie vielleicht wissen,
sind wir Angehörige einer Verteidigungstruppe, welche die
letzten beiden Jahrhunderte über – die für Sie
gleichbedeutend mit einem geologischen Zeitalter gewesen sein
müssen – mit Ihnen in Konflikt stand. Die
ständige Ausstrahlung von Virenprogrammen und die
destruktiven Molekularmaschinen sind uns nach wie vor ein Dorn im
Auge. Deren erstes Auftreten kurz nach Ihrem Eindringen in die
Jupiteratmosphäre hat viele Millionen Tote nach sich gezogen
und der bereits ins Wanken geratenen Zivilisation den
Todesstoß versetzt.
    Jetzt, da Sie eine andere Gestalt angenommen haben, wie Sie es
ausdrücken, hat sich die Lage verändert, jedoch in
einer Weise, die von vielen – wie Sie sicherlich verstehen
werden – als bedrohlich angesehen wird. Ihre
Vorläufer, die Menschen, auf die Sie sich berufen, haben uns
skeptisch werden lassen hinsichtlich der Zukunft der Menschheit
in einem Sonnensystem, das von posthumanen Wesenheiten beherrscht
wird. Wir würden gern Ihre Ansicht dazu
hören.«
    Vielleicht aufgrund der Länge von Tatsuros Erklärung
antwortete der Jupiteraner ohne Verzögerung.
Oberflächlich betrachtet vermittelte er damit den Eindruck
einer Unterhaltung, dabei bestätigte dies bloß die
Überlegenheit des Fremden; anhand subtiler Hinweise in
Tatsuros Tonfall, seiner Mimik und Gestik musste er auf den
Moment geschlossen haben, da dieser seine Erklärung beenden
wollte, um die Antwort darauf zeitlich entsprechend abzustimmen.
Zweifellos verarbeitete er Tatsuros letzte Sätze,
während er bereits zu sprechen begonnen hatte. Ich bekam
eine Gänsehaut an den Unterarmen.
    »Dies hat uns sehr bestürzt«, sagte der
Jupiteraner. »Wir versichern Ihnen, dass wir nicht die
Absicht hatten, Virensabotage zu betreiben. Es schmerzt uns zu
erfahren, dass in der Vergangenheit so großer Schaden
angerichtet wurde. Bitte bedenken Sie dabei, dass wir das, was
Sie als virtuelle Realität bezeichnen und was uns als
albtraumhafte Traumzeit im Gedächtnis haftet, gerade erst
hinter uns gelassen hatten. In den vergangenen zwei Monaten Ihrer
Zeitrechnung sind für uns etwa hundertfünfzig Jahre
verstrichen. Die meiste Zeit über waren wir vom
Überlebenskampf in Anspruch genommen – wir waren damit
beschäftigt, in einer ungewöhnlich unwirtlichen Umwelt
die materiellen

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