Die Champagnerkönigin
Isabelle verzweifelt.
»Lassen Sie sich Zeit, meine Liebe. Reims wurde auch nicht an einem Tag erbaut«, sagte Micheline augenzwinkernd. Dann band sie die Schürze ab, die Isabelle ihr gegeben hatte, und verabschiedete sich.
Sinnierend blickte Isabelle der älteren Frau nach. Sie sollte sich Zeit lassen? Sie und Leon hatten keine Zeit zu verlieren! Das letzte bisschen Geld schwand dahin wie der morgendliche Frost in der Märzensonne. Jacques’ amerikanische Kunden hatte die Konkurrenz ihnen weggeschnappt, und genauso würden sie jede weitere Schwäche ihrerseits ausnutzen. Dagegen konnten sie sich nur schützen, wenn sie wachsam Augen und Ohren offen hielten und sie sich außerdem schnellstmöglich mit allen Belangen des Weinguts vertraut machten.
Hoffentlich sendet mir Clara bald ein paar Kochbücher mit einfachen Rezepten, dachte Isabelle. Dann konnte sie das Thema Küche und Kochen abhaken und sich wichtigeren Dingen widmen.
Als der Postbote wenige Tage später tatsächlich ein Paket vorbeibrachte, stieß Isabelle einen so lauten Jauchzer aus, dass der Mann zusammenzuckte. »Post aus Berlin!«
Während sie ihm den Empfang von Claras Paket mit ihrer Unterschrift bestätigte, erblickte sie über dessen Schulter hinweg auf der gegenüberliegenden Straßenseite Daniel Lambert. Er klopfte an die Haustür von la Maîtresse und trat anschließend sofort ein, ohne auf eine Aufforderung zu warten.
Isabelles Gesicht verdüsterte sich. Dass der Bursche ausgerechnet dieses Haus aufsuchte, wunderte sie nicht. Mitten am Tag eine Hure zu besuchen, das passte zu ihm.
Der Postbote war ihrem Blick gefolgt. »Ah, Daniel besucht seine Schwester Ghislaine.«
Isabelle schaute den Mann verdutzt an. »Was sagen Sie da? Daniel Lambert ist der Bruder der Mätresse –« Erschrocken schlug sie eine Hand vor den Mund.
Doch der Postbote grinste nur. »Wussten Sie das nicht? Ihm gehört nicht nur das Le Grand Cerf zur Hälfte, er berät Ghislaine auch beim Weinkauf. Und soll ich Ihnen noch etwas verraten?« Der Postbote beugte sich ihr vertraulich entgegen, und unwillkürlich wich Isabelle einen Schritt zurück. »Ganz früher wohnten die zwei sogar hier, in Ihrem Haus! Damals war das Weingut noch im Besitz der Familie Lambert. Aber das ist lange her.«
»Dass Daniel Lambert hier gewohnt hat, wusste ich schon. Aber dass auch Ghislaine hier zu Hause war … Jetzt wird mir einiges klar«, murmelte Isabelle vor sich hin. Kein Wunder, dass diese Ghislaine ihnen gegenüber so feindselig gewesen war! In ihren Augen waren sie Eindringlinge, die sich das Anwesen ihres Vaters unrechtmäßig unter den Nagel gerissen hatten.
Sie verabschiedete den Postboten, dann trug sie Claras Paket in die Küche und stellte es auf den Tisch. Fast andächtig ritzte sie mit dem Messer an den oberen Kanten das dicke Packpapier auf. Noch andächtiger hob sie die drei Bücher heraus, die Clara ihr geschickt hatte, ein Kochbuch, ein Buch zur Haushaltsführung allgemein und eins mit Tips für den Frühjahrsgroßputz. Isabelle staunte nicht schlecht, dass es so etwas überhaupt gab. Sie schlug wahllos eine Seite auf und las: »Das beste Mittel gegen hässliche Kalkablagerungen ist Essig.« Ein wertvoller Tipp, befand Isabelle, die an die vor lauter Kalkablagerungen stumpfen Armaturen in ihrem Badezimmer dachte. Doch viel wertvoller noch als jeder Haushaltstipp war für sie der Brief, der sich ebenfalls im Paket befand. Isabelle verspürte sogleich einen Stich in der Brust, als sie Claras gestochen scharfe Schrift erkannte.
Berlin im März 1898
Liebe Isabelle,
was für eine große Freude war es, endlich von Dir zu hören! Wochenlang hast Du nicht geschrieben, und ich habe mir solche Sorgen gemacht –
Ach Clara, was hätte ich aus Nothzeit denn schreiben sollen?, dachte Isabelle mit einem leichten Anflug von schlechtem Gewissen.
Doch nun bin ich beruhigt. Ein Weingut in der Champagne – das hört sich nach genau dem Ort an, an dem Du glücklich werden kannst. Liebe Isabelle, ich seh Dich im Geiste vor mir, wie Du den ganzen Betrieb organisierst, das Personal herumscheuchst und selbst überall dort tatkräftig wirst, wo Not am Mann ist.
Personal? Liebe Clara, wenn du wüsstest, dachte Isabelle und musste schmunzeln.
Ich weiß noch genau, wie sehr Du Dir eine Aufgabe im Leben gewünscht hast, die über die langweiligen Pflichten einer braven Unternehmergattin hinausgeht. An der Seite Deines attraktiven Radfahrers scheint Dein Wunsch nun in Erfüllung zu
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