Die Chaosschwestern sind unschlagbar - Mueller, D: Chaosschwestern sind unschlagbar
Angst weinenden Timmi.
Mein Herz krampft sich zusammen und meine Beine fangen an zu zittern. Mir wird richtig flau. Immer wieder gucke ich zum Tor rüber, als ob Timmi da plötzlich hindurchmarschieren und »Hallo, da bin ich wieder« rufen müsste.
Das tut er aber nicht. Allerdings … marschiert jetzt jemand anderes durch das Tor zurück auf den Spielplatz.
Ich kneife die Augen zusammen. Henry! Was will der denn schon wieder hier?
Er steuert direkt auf mich zu und bleibt dann vor mir stehen. Mit genau demselben, selbstsicheren Grinsen im Gesicht wie vorhin. »Suchst du vielleicht so’n kleinen Zwerg? Rote Jacke? Freche Klappe?«
Ich starre ihn an und kann nur stumm nicken.
Henry grinst unverhohlen weiter. »Also, dann würde ich ihn mal da hinten vom Baum runterpflücken. Im Moment bewirft er nämlich sämtliche Fußgänger auf der Straße fröhlich mit Kastanien.«
»Kastanien?«, schaffe ich zu wiederholen, als ob das irgendeinen Sinn machen würde.
Henry mustert mich von oben bis unten. »Soll ich dir helfen?«
»Ja, bitte«, murmele ich leise.
Ist das etwa meine Stimme? Ich bin doch sonst nicht so schüchtern. Wie diese blöde Angst um ein Kind einen verändern kann!
Und dann stolpere ich mausebrav hinter ihm her. Raus aus dem Spielplatz und außen um den Zaun herum, bis wir zu einem Baum mit weit überhängenden Ästen kommen, die sowohl auf den Spielplatz als auch über den Gehweg ragen. Und genau auf einem dieser Äste hockt mein kleiner Vampir und pflückt die Kastanien samt Hülle ab, um sie zielsicher auf uns abzufeuern.
»Huhuuuu, Dessaaaa!«, schreit er dabei und winkt mir glücklich zu.
Es tut ganz schön weh, als mich eine der Kastanien im Gesicht trifft. Aber – merkwürdig – irgendwie verhalte ich mich schon genauso bescheuert wie Timmis Eltern. Statt laut und angemessen »Aua! Was fällt dir ein!« zu rufen, gehe ich mit seligem Lächeln auf Timmi zu, hebe ihn vom Ast, drücke ihn an mich und gurre bloß: »Du kleiner Räuber, du!«
Und Timmi lacht geschmeichelt.
Oh, die nächste halbe Stunde lasse ich ihn nicht aus den Augen. Ich gehe mit zur Rutsche, ich fange ihn auf, als er vom Klettergerüst fällt, und ich halte ihn davon ab, andere Kinder mit Riesenladungen von Sand zu beschmeißen.
Was für ein Glück, dass Henry noch mal kurz zurück zur Apotheke musste, weil eins der Medikamente falsch war! Sonst hätte ich wohl in meiner Verzweiflung wirklich die Polizei gerufen. Und dann hätten wir Timmi zwar vermutlich auch gefunden, aber ich hätte bestimmt eine Menge Ärger gekriegt.
Ich gucke auf die Uhr. Zeit, um mit Timmi wieder nach Hause zu gehen und ihm das Mittagessen aufzuwärmen. Gerade als ich mit Timmi an der Hand losgehen will, kommt Henry zum dritten Mal auf den Spielplatz gestiefelt.
Ich streiche mir schnell über meine Haare und befeuchte meine Lippen. Wie nett, dass ich noch mal eine Gelegenheit kriege, ihm zu zeigen, wie wunderbar ich ohne Maulsperre oder Panik im Gesicht aussehe!
»Schon Schluss?«, begrüße ich ihn mit meinem, in normalen Situationen äußerst charmanten Lächeln.
»Nee, muss nur’n Moment warten, bis sie die nächste Lieferung zusammengestellt haben.« Henry grinst unvermindert.
Ob ihm das Grinsen angeboren ist? Irgendwie hat es was Spöttisches. Wieso eigentlich? Wieso sollte jemand mich spöttisch angucken? Schließlich sehe ich ja immer absolut umwerfend aus!
Na ja, vielleicht ist das seine Art, nicht zu zeigen, wie sehr ihn mein gutes Aussehen verunsichert. Jungs wollen so was ja nie zeigen. Schätze, dass er wirklich komplett von den Socken ist, wie hübsch ich bei näherer Betrachtung bin und nun nicht weiß, wie er seine Bewunderung anders als hinter einem Dauerlächeln verstecken soll. Kein Wunder!
OINK! Nein! HILFE! Ich sehe ja gerade ganz und gar NICHT umwerfend aus! Ich stecke in matschigen Stiefeln, an meinen Beinen flattern ein paar schwarze Nylonfetzen herum und meine schönen, mühsam gestylten Haare … oh, an die will ich gar nicht denken!
Denn an die hab ich tatsächlich überhaupt nicht mehr gedacht, als ich Timmi auf den Armen hatte und nur froh war, ihn gesund wieder zu haben und bei jeder Haarsträhne, die er mir ausgerissen hat, und bei jedem Stück
Matsch, das er mir auf den Kopf geschmiert hat, nur »Ach, du kleiner Strolch, du!« gemurmelt habe.
Ich fürchte, ich werde gerade knallrot … und Henrys Grinsen wird immer breiter.
Blödmann!
»Ähm, na ja, wir müssen jetzt jedenfalls zurück nach Hause«,
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