Die Chorknaben
einen was hatte?«
»Bist du gekommen?« half ihm Doris Guber mit leuchtenden Augen auf die Sprünge. »Und wie.«
Bruce Simpsons unnachahmlich anschauliche Prosa ließ nichts aus. Die Seiten seines Berichts trieften nur so von Tod und Schmerzen. Er schilderte darin, wie Lena Rivers damals am ersten Tag dem kleinen Tommy den Matrosenanzug vom Leib gerissen hatte. Er folgerte daraus, daß Tommy darin zu sehr dem längst verschwundenen blonden Seemann geähnelt hatte, der die romantischen Wunschträume von Lena Rivers zum Platzen gebracht hatte, indem er seinen Abschied von der Navy nahm und mit unbekanntem Ziel in See stach. Bruce Simpson führte bis ins kleinste Detail aus, wie an jenem Tag Tommy Rivers' Abstieg in die Hölle begann und wie er erst durch seinen Tod zehn Monate später von seinen Qualen erlöst wurde.
Lena Rivers hatte damit begonnen, Tommy ständigem Beschuß durch verbale Beschimpfungen auszusetzen, um sich dann mit Schlägen, Essensentzug und schließlich sogar regelrechten Foltern immer mehr zu steigern. Je grausamer sie sich jedoch Tommy gegenüber verhielt, desto mehr Zuwendung bekamen ihre anderen drei Kinder zu spüren, die zwischen sieben und zehn Jahre alt waren. Außerdem war sie zu den älteren Kindern aus der Nachbarschaft außergewöhnlich freundlich und gab ihnen zum Teil sogar Bier und auch kleinere Beträge Geld von ihren zweimonatlichen Unterhaltszahlungen von Seiten der Wohlfahrt. Nachdem sie einmal mit ein paar von ihnen Strip-Poker gespielt hatte, deflorierte sie schließlich sogar drei von ihnen.
Unter den heranwachsenden Jugendlichen des Blocks sprach es sich allmählich herum, daß Lena Rivers mit dem Neuzuwachs, dem sechs Jahre alten Tommy, recht grob umging. Später stellte sich dann heraus, daß mindestens zwei der jungen Burschen, die außer Poker noch verschiedenes anderes von Lena Rivers gelernt hatten, Zeuge geworden waren, wie die junge Frau strafbare Handlungen an dem kleinen Tommy begangen hatte. Bei zwei Gelegenheiten war Lena Rivers beobachtet worden, wie sie die Hand des Jungen in die Flamme des Gasherds hielt, weil er bettgenäßt hatte. Bei einer anderen Gelegenheit hatte sie dem kleinen Jungen befohlen, oral mit einem ihrer pokernden, sechzehnjährigen Liebhaber zu kopulieren, was der junge Bursche seiner Aussage vor Gericht zufolge, jedoch abgelehnt hatte. Zu guter Letzt ergab sich, daß nicht weniger als drei junge Burschen, ganz normale Abkömmlinge von ganz normalen Nachbarn gesehen hatten, wie Lena Rivers den nackten, kreischenden, elf Kilo schweren Jungen mit einer Kombizange um seinen Penis durchs Haus trug.
Während dieser zehn Monate des Schreckens hatte sich Lena Rivers allerdings auch weniger exotische Strafen für Tommy Rivers ausgedacht. So sperrte sie ihn zum Beispiel jedesmal, wenn er nach seiner Großmutter schrie, die er nie wieder zu Gesicht bekommen sollte, in den Besenschrank in der Küche. Für Tommy wurde dieser Besenschrank schließlich sogar so etwas wie ein Ort der Zuflucht, dessen friedvolles Dunkel er oft für Stunden genoß, wenn Lena Rivers ihn dort vergaß. Seine älteren Geschwister brachten ihm zwar hin und wieder über seine spärlichen Rationen hinaus etwas zum Essen, aber dieses wenige reichte nicht aus, ihn bei Gesundheit zu halten. Der Besenschrank wurde schließlich zu seinem Schlafzimmer. Neben dem Warmwasserboiler, der während der Nacht Wärme spendete, baute er sich aus Lumpen und alten Zeitungen ein Lager.
Baxter versuchte sich einzureden, daß er die kleine Gestalt, die in der Ecke des dunklen Besenschranks kauerte, vermutlich gar nicht gefunden hätte, selbst wenn er sich dazu hätte durchringen können, das Haus zu durchsuchen. Vielleicht hätte er seinen Verdacht, daß Lena Rivers ihm ein falsches Kind gezeigt hatte, nie beweisen können.
Baxter unterhielt sich später mit erfahreneren Jugendpolizisten, studierte einschlägige psychologische Werke und stellte sich selbst immer und immer wieder die Frage: »Aber wieso haben die anderen Kinder, vor allem die älteren Kinder aus der Nachbarschaft, der Polizei nie etwas gemeldet? Sie wußten doch, was Lena Rivers mit dem kleinen Tommy machte. Selbst die Kleinen wußten doch, daß hier etwas ganz und gar nicht stimmte.« Die häufigste Antwort darauf lautete: »Kinder sind einfach neugierig, und das Ungewöhnliche, Bizarre hat sie schon immer fast krankhaft fasziniert. Die älteren Jungen beschwichtigte sie mit Alkohol und Sex, und ihre eigenen Kinder konnten am
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