Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
ab, ob die Drakonier ihnen in die Berge gefolgt sind.« Flußwind zuckte die Schultern. »Trotzdem bist du jetzt ihre Herrscherin« – in seine Stimme schlich sich Bitterkeit –, »und ich werde der Gatte der Herrscherin.«
Goldmond zuckte zusammen, als ob er sie geschlagen hätte. Sie blinzelte, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, Flußwind«, sagte sie leise. »Ich ... wir haben darüber gesprochen...«
»Haben wir das?« unterbrach er sie. »Ich habe letzte Nacht darüber nachgedacht. Ich war so viele Jahre fort. Meine Gedanken waren bei dir – bei der Frau. Ich habe nicht sehen wollen...« Er schluckte und holte tief Luft. »Ich habe Goldmond verlassen. Und ich kehrte zurück, um die Tochter des Stammeshäuptlings zu finden.«
»Hatte ich denn eine andere Wahl?« schrie Goldmond zurück. »Mein Vater war krank. Ich mußte herrschen, oder Lorman hätte sich zum Führer des Stammes gemacht. Weißt du denn, wie es ist – die Tochter des Stammeshäuptlings zu sein? Sich bei jeder Mahlzeit zu fragen, ob sie vergiftet ist? Sich jeden Tag abzumühen, um aus der Schatztruhe die Soldaten bezahlen zu können, damit Lorman nicht aufmuckt? Und die ganze Zeit mußte ich mich wie die Tochter des Stammeshäuptlings verhalten, während mein Vater rumsaß und Versprechungen machte und vor sich hin murmelte ...« Ihre Stimme erstickte in Tränen.
Flußwind lauschte mit ernstem, unbeweglichem Gesicht. »Wir müssen aufbrechen«, sagte er kalt. »Die Dämmerung ist fast angebrochen.«
Die Gefährten brauchten nur einige wenige Meilen auf der alten, holprigen Straße zu wandern, bis sie buchstäblich in einen Sumpf fielen. Der Boden war ständig modriger geworden, und der Wald mit den hohen, robusten Bäumen hatte sich mehr und
mehr gelichtet. Seltsame verkrümmte Bäume waren vor ihnen aufgetaucht. Die Sonnenstrahlen drangen nicht mehr durch, und die Luft wurde schlecht. Raistlin begann zu husten und hielt sich ein Taschentuch vor den Mund. Sie blieben auf der alten Straße und versuchten, sich vom feuchten, sumpfigen Boden fernzuhalten.
Flint ging mit Tolpan an der Spitze, als der Zwerg plötzlich einen lauten Schrei ausstieß und im Morast versank. Nur noch sein Kopf war zu sehen.
»Hilfe! Der Zwerg!« rief Tolpan, und die anderen rannten zu ihm.
»Beweg dich nicht«, belehrte Flußwind. »Du bist in ein Todesmoor gefallen. Folge ihm nicht!« warnte er Sturm, der nach vorn gesprungen war. »Ihr werdet beide sterben. Sucht einen Zweig.«
Caramon umklammerte einen jungen Baum, holte tief Luft, ächzte und riß ihn aus der Erde. Flußwind legte sich flach auf den Boden und schob den Baum zum Zwerg. Flint, der nun fast bis zur Nase im Sumpf steckte, schlug um sich, bekam jedoch schließlich den Baum zu fassen und wurde langsam herausgezogen.
»Tanis!« Der Kender griff nach dem Halb-Elf und zeigte auf etwas. Eine Schlange, so dick wie Caramons Arm, glitt über den Morast, in dem sich der Zwerg abgequält hatte.
»Wir können hier nicht durch!« Tanis deutete auf den Sumpf. »Vielleicht sollten wir umkehren.«
»Keine Zeit«, flüsterte Raistlin, seine Stundenglasaugen glitzerten.
»Und es gibt keinen anderen Weg«, sagte Flußwind. Seine Stimme klang seltsam. »Und wir kommen hier durch – ich kenne einen Weg.«
»Was?« fragte Tanis. »Ich dachte, du ...«
»Ich war schon einmal hier«, sagte der Barbar mit erstickter Stimme. »Ich weiß nicht mehr, wann, aber ich war schon einmal hier. Ich kenne den Weg durch den Sumpf. Und er führt nach...« Er befeuchtete seine Lippen.
»Führt zur zerstörten Stadt des Bösen?« fragte Tanis grimmig, als der Barbar den Satz nicht beendete.
»Xak Tsaroth!« zischte Raistlin.
»Natürlich«, sagte Tanis leise. »Das ergibt einen Sinn. Wo sollten wir sonst Antworten über den Stab finden – nur an dem Ort, wo dir der Stab gegeben wurde.«
»Und wir müssen jetzt gehen!« sagte Raistlin hartnäckig. »Wir müssen bis morgen nacht dasein!«
Der Barbar übernahm die Führung. Er fand festen Boden im schwarzen Wasser und ließ sie alle einzeln hintereinander gehen, führte sie von der Straße fort und tiefer in den Sumpf hinein. Bäume, die er Eisenklaue nannte, wuchsen aus dem Wasser empor, ihre Wurzeln verzweigten sich im Schlamm. Schlingpflanzen hingen von ihren Zweigen und liefen über den kaum erkennbaren Weg. Der Nebel schloß sie ein, und bald konnten sie nur im Umkreis weniger Meter etwas erkennen. Sie waren gezwungen, sich langsam zu bewegen und jeden
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