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Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich)

Titel: Die Chronik der Hürnin (Das Alte Reich) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Keller
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konnte. Man musste die Leichen begraben, um zu verhindern, dass sich Seuchen ausbreiten. Bis man die letzten gefunden hat, werden viele von ihnen schon kein Gesicht mehr gehabt haben, oder etwas anderes, wodurch man sie hätte identifizieren können.“
    „ Aber warum hier und nicht gleich auf dem Sommerfeld, wo sie gestorben waren?“, fragte Erich.
    „ Oh, ich zweifle nicht daran, dass wir auf dem Sommerfeld noch mehr dieser Hügel mit Massengräbern finden werden. Das hier war nur ein kleiner Teil.“
    Erich versuchte sich das Ausmaß der Schlacht vorzustellen, konnte es aber nicht. Auf Schritt und Tritt schienen wir an Grabsteinen vorbeizukommen und wenn hier nur diejenigen begraben lagen, die noch Tage nach der Schlacht ihren Verletzungen erlegen waren, wie viele Tote mussten dann erst auf dem Sommerfeld selbst ruhen? Und was war, wenn ein Teil dieser Toten tatsächlich nicht mehr hatte ruhen wollen und sich immer noch dort herumtrieb? Langsam begann er zu begreifen, warum das Sommerfeld ein so großes Tabu unter den Hürnin darstellte. Erich versuchte abzuschätzen, wie viele Tote in den Gräbern Platz gefunden hatten. Einer oder zwei pro Grabstein, aber wie viele in den Hügeln? Erich mochte sich nicht vorstellen, wie viele Leichen in eine Grube passen würden, vielleicht fünfzig? Oder eher hundert? Sarn wusste darüber bestimmt Bescheid, aber er wollte ihn nicht fragen. So schätzte er, dass wir in einer Stunde an etwa fünfhundert bis tausend Toten vorbeigekommen sein mussten. Wenn man bedachte, dass die meisten Gräber inzwischen unter den Büschen und Wurzeln der Bäume verschwunden waren, dann waren es wahrscheinlich noch mehr.
    Für die Nacht suchten sie sich einen Platz abseits der Straße und der Gräber und zum ersten Mal seit sie von der Insel herunter waren, wurde Erich zur letzten Wache vor dem Sonnenaufgang eingeteilt. Er mochte sie am allerwenigsten, weil er festgestellt hatte, dass es schwieriger war den Schlaf nach einer kurzen Nacht abzuschütteln, als ihn nach einem anstrengenden Tag noch ein wenig hinauszuzögern. Da er inzwischen allein Wache hielt, musste er sich ganz darauf verlassen, was er sah und hörte, bzw. was er glaubte zu sehen und zu hören und dann entscheiden, ob er wirklich etwas gesehen hatte. Denn er sah auch in dieser Nacht wieder einiges, von dem er sich sicher war, dass es nicht da sein konnte: Bäume die ihren Platz verließen, wenn er nicht hinschaute und Äste, die sich nach ihm reckten, um ihn festzuhalten. Am schlimmsten waren die Blätter, die vereinzelt zu Boden fielen und seine Augen und Ohren beständig damit narrten. Auch das spärliche Sternenlicht, das durch die sich lichtenden Baumwipfel drang, machte es nicht besser. Ständig stellten sich ihm die Nackenhaare auf, weil er das Gefühl hatte beobachtet zu werden.
    Er war ausgehungert und hundemüde, als sie am nächsten Morgen schließlich das Lager abbrachen und sich wieder auf den Weg machten. Das Trockenfleisch hing ihm inzwischen zum Hals raus und wenn sie jetzt auf einen Bären gestoßen wären, hätte Erich nichts anderes im Sinn gehabt als ihn zu fragen, ob er den Winter über in seiner Höhle schlafen könnte und falls er das verneinte ihn zu erlegen, um ihn aufzuessen.
    Über Nacht schien der Herbst in den Wald eingefallen zu sein. Vielleicht lag es daran, dass wir nun an immer mehr Laubbäumen vorbeikamen, vielleicht daran, dass das Land stetig anstieg und die Bäume weiter oben ihre Blätter früher verloren, aber Erich bemerkte jetzt, dass das Grün des Laubs nun über weite Strecken Rot- und Gelbtönen gewichen war und manche Baumarten ihre Blätter auch schon abgeworfen hatten. Nur hie und da sträubte sich noch ein einzelner Baum gegen das Ablegen seines Sommerkleids. Noch lag nur wenig frisch abgefallenes Laub auf dem Boden, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis ein leichter Windhauch genügen würde, um die Erde damit zu bedecken. Auch die kümmerlichen Reste der Straße würden darunter verschwinden. Aber inzwischen mussten wir einfach nur den Gräbern folgen, um die Richtung nicht zu verlieren. Wir konnten das Sommerfeld gar nicht verfehlen.
     

Kapitel 6 – Volk aus den Wäldern
     
    Wie mit einer riesigen Sense gemäht, lag eine Schneise, auf der nur etwas kränkliches Gras wuchs, vor uns quer mitten im Wald. Wir konnten nicht erkennen, was sie hervorgerufen hatte, und wo die Schneise endete. Aber der Halken hatte eine genaue Vorstellung davon, wer dahintersteckte. Und er weigerte

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